Um auf den Punkt Zeit für ein Spiel bzw die typische Spielzeit bei Spielen einzugehen - ich bin der Meinung…
Ersteindruck – »Welcome Back, Alice« – Ein Bruch mit Genderkonstrukten
Warum immer auf eine Review nach Abschluss der Serie warten, wenn man sich schon nach der ersten Episode beziehungsweise dem ersten Band einen Eindruck bilden kann? Da setzt Ersteindruck an und gibt schon einmal einen Ausblick darauf, ob es sich lohnt, dem Anime oder Manga eine Chance zu geben, oder nicht.
Titel: | Welcome Back, Alice |
Genre: | Drama |
Mangaka: | Shuzo Oshimi |
Start: | April 2020 (Japan) April 2023 (Deutschland) |
Bände: | aktuell 6 Bände |
Verlag: | Manga Cult |
Preis: | 10 € pro Band |
(Basis für diesen Ersteindruck ist der erste Band.)
Nachdem ich mich in einem vorangegangenen Ersteindruck bereits mit dem Psychodrama »Blood on the Tracks« von Shuzo Oshimi beschäftigt hatte, war ich gespannt, auf welche Art er wohl einen Manga der Gattungen Drama umsetzen würde. So einer ist »Welcome Back, Alice« und behandelt in einer vom Autor gewohnt provokanten wie fortschrittlichen Art die Themen Geschlechtsidentität, Queerness und sexuelles Erwachen.
Dabei tritt Shuzo Oshimi in den letzten Seiten dieser Fassung selbst im Nachwort in Erscheinung und benennt seine persönliche Motivation für die Auseinandersetzung mit diesen Thematiken: Der ihm anerzogene, männliche Stereotyp, der sich fast ausschließlich über einen starken Sexualtrieb definiert, widerstrebt ihm. Denn obwohl die Gesellschaft, in der er lebt, ihm laut dieser Definition eine Verweichlichung unterstellen möchte, ist er nicht bereit, dies so stehen zu lassen. Eine starke Feststellung, die man trotz der weltweiten gesellschaftlichen Entwicklungen als Mangafan sicher nicht unbedingt von einem Japaner erwarten würde – gelten diese doch meistens eher als konservativ.
(Zusammenfassung)
„Wann haben wir begonnen, uns zu verändern?“
Die Mittelschüler Yohei und Kei sind seit Ewigkeiten mit der hübschen Yui befreundet. Aber Yohei hat ein Geheimnis: Er ist unsterblich in Yui verliebt. Eines Tages beobachtet er, wie Kei Yui hinter der Turnhalle küsst. Als Kei kurz darauf plötzlich wegzieht, endet die Freundschaft der drei mit einem Schlag. Einige Jahre vergehen und Yohei und Yui gehen nun gemeinsam an die Oberschule. Dort wird Yohei von einer geheimnisvollen neuen Mitschülerin angesprochen, und sie weiß Dinge über ihn, die sonst keiner weiß. Denn die attraktive Blondine ist niemand Geringeres als sein früherer Freund Kei …
Manga Cult
Provokation und Realismus
OKAERI, ALICE © 2020 SHUZO OSHIMI / KODANSHA LTD. |
»Welcome Back, Alice« ist die Geschichte von drei Teenagern, die versuchen, sich selbst im Angesicht ihrer einsetzenden Pubertät zu finden. Indem Kei sich in dieser Phase seines Lebens selbst frei macht von starren Genderkonstruktionen, regt er auch seine beiden Freunde Yo und Yui dazu an, sich mit der Frage nach der eigenen Geschlechtsidentität und der Möglichkeit eines non-binären Daseins zu befassen. Positiv ist, dass Keis offensichtliche, äußerliche Transition im ersten Band in keinerlei Hinsicht als negativ dargestellt wird und bei den anderen Mitschülern der Klasse überwiegend wohlwollende Reaktionen auslöst. Da Kei es nicht klarstellt, lässt Oshimi allerdings offen, ob sich dieser selbst als nicht-binärer Mensch bezeichnet. Im Großen und Ganzen stehen die Themen persönliche charakterliche Entwicklung, Erwachsenwerden, aber auch die sich entwickelnde Liebesgeschichte im Vordergrund.
In Manga und Anime dargestellte Dreiecksbeziehungen beinhalten sehr oft komödiantische Einlagen und bauen auf Missverständnissen zwischen den Charakteren auf wie beispielsweise in »Fruits Basket«, der bei Carlsen Manga erschien. Dieser Manga schafft es aber ganz ohne das Lächerliche und übertreibt, wenn überhaupt, nur in der starken Sexualisierung Keis. So unangenehm, wie manche eindringliche Blicke in anderen Werken Oshimis auf mich wirken, so empfand ich auch seine starke Fixierung auf Sexualität als etwas too much. Kei bedrängt seine beiden Freunde sichtlich damit und vermag vielleicht sogar auch beim Lesenden zu bewirken, dass dieser ein negatives Bild von non-binären Menschen mitnimmt. Mit dem Wissen im Hinterkopf, wie individuell die Menschen im Einzelnen sind, fühlt sich die Geschichte jedoch durchaus realistisch an.
Artwork und Charakterdesign
OKAERI, ALICE © 2020 SHUZO OSHIMI / KODANSHA LTD. |
So wie »Blood on the Tracks« kann ich auch diesen Manga einfach nur für das wunderschöne, eindringliche Charakterdesign und sein Artwork loben; die Gesichtsausdrücke, die Oshimi seinen Charakteren verleiht, sind unglaublich ausdrucksstark von den Augen über die Mundwinkel bis hin zur Körperhaltung in jedem Panel! Sie sprechen allein für sich genommen schon Bände und tragen aber in Kombination die ebenfalls bedeutungsvollen Dialoge noch mal ein Level höher. Der Mangaka schafft für mich außerdem etwas, an dem ich mich schon oft in Manga gestört habe: Er lässt die Charaktere trotz gleicher Haarfarben und ähnlicher Frisuren immer noch so unterschiedlich aussehen, dass sie einen hohen Wiedererkennungswert haben und so nicht leicht miteinander verwechselt werden. Ich denke, den Lesenden ist genau wie mir bewusst, dass das Design von Yo als Hauptcharakter sich nicht wirklich von dem des typischen »nerdigen Manga-Protagonisten« aus anderen Serien unterscheidet. Er sieht einem Rei Kiriyama aus »March comes in like a lion« oder Ken Takakura aus »Dandadan« zum Verwechseln ähnlich. Es gefällt mir aber, dass die Möglichkeit besteht, dass Oshimi ganz bewusst mit diesem stereotypen Aussehen spielt, um dies später in der Geschichte aufzubrechen. Das Ende des ersten Bands macht es jedenfalls deutlich, dass der Wandel von Kei im Inneren und Äußeren eine Menge Gedankengänge in Yo anstoßen wird.
Versäumte Inhaltswarnung?
OKAERI, ALICE © 2020 SHUZO OSHIMI / KODANSHA LTD. |
Meiner Meinung fehlt eine deutliche Triggerwarnung, wenn Kei sich seine Freunde in seine Wohnung einlädt und sich ihnen mit Küssen und Berührungen einfach aufdrängt. Trotz ihrer verschreckten Reaktionen behandelt er sie nicht behutsamer oder entschuldigt sich, sondern übertritt bewusst weitere Grenzen. Ich war aus diesem Grund sehr erstaunt darüber, dass die Altersempfehlung für den Manga schwer zu finden ist, denn in diesem Band gibt es zusätzlich noch explizite Gespräche und Bilder zu Masturbation sowie Szenen, die meiner Meinung nach klar als sexuelle Übergriffe einzuordnen sind und dementsprechend stark verstörend wirken können.
Im ersten Band wird nicht ersichtlich, woraus sich der Titel »Welcome Back, Alice« ergibt, denn Kei stellt sich darin zu keiner Gelegenheit mit diesem Namen vor. Meine Vermutung ist, dass Oshimi hier mit einer längst überstrapazierten Stilfigur, dem Lolita-Trope, spielt, indem er eine junge blonde, weiblich gelesene Person erschafft, die trotz des unschuldigen und jugendlichen Aussehens übermäßig sexualisiert wird, so wie es im gleichnamigen Roman »Lolita« von Vladimir Nabokov geschieht. Den Namen Alice leite ich vom Aussehen der »Alice im Wunderland« ab.
Fazit:
In »Welcome Back, Alice« ergründet der Autor nicht nur die Geschlechtsidentität seiner Charaktere Yo, Yui und Kei, sondern auch seine eigene. Der Einblick in seine so intimen Gedanken hat mich ehrlich überrascht und in ihrer Machart ein wenig an die Mangareihe »Confidential Confessions« von Reiko Momochi erinnert, die bei Tokyopop erschien. Problematisch finde ich jedoch den Raum zur möglichen Interpretation von Kei als Sexualstraftäter*in. Dies tut in Verbindung mit seiner spekulativen Zugehörigkeit zu den nicht-binären Personen der Darstellung queerer Menschen in Manga keinerlei Gefallen.
Mit dringendem Hinweis auf die Altersempfehlung 16+ würde ich den Manga auf jeden Fall Fans von Oshimis Frühwerk »Die Blumen des Bösen – Aku no Hana« empfehlen, die ebenfalls bei Manga Cult erschien.