Ersteindruck – »Blood on the Tracks« – Gefährliche Zuneigung (Band 1)

Warum immer auf eine Review nach Abschluss der Serie warten, wenn man sich schon nach der ersten Episode beziehungsweise dem ersten Band einen Eindruck bilden kann? Da setzt Ersteindruck an und gibt schon einmal einen Ausblick darauf, ob es sich lohnt, dem Anime oder Manga eine Chance zu geben, oder nicht.

Blood on the Tracks - Band 1
Titel: Blood on the Tracks
Genre: Psychodrama
Mangaka: Shuzo Oshimi
Start: Februar 2017 (JP)
Bände: aktuell 13 in Japan
Verlag: Manga Cult
Preis: 10 € pro Band

(Basis für diesen Ersteindruck ist der erste Band.)

Passend zum Herbst bringt Manga Cult uns Mangaka Shuzo Oshimis Werk »Blood on the Tracks« in die Regale und lädt mit diesem Thriller zum Gruseln ein. Einigen Leser*innen dürfte der Gewinner des Tetsuya Chiba Awards von 2001 bereits durch »Die Blumen des Bösen – Aku no Hana« bekannt sein und auch dieses Mal verspricht der erste Band eine Geschichte, die sich tief in die Abgründe der menschlichen Psyche begibt. Wie weit darf die Liebe einer Mutter gehen? Was veranlasst einen Menschen dazu, ein Familienmitglied zu decken, das ein Verbrechen begeht? Dies sind nur zwei Fragen von vielen, die sich mir beim Eintauchen in den Einstiegsband gestellt haben. Nachdem Shogakukan das Werk bereits 2017 in Japan veröffentlichte, halte ich es nun in meinen Händen.

(Zusammenfassung)

Seiichi Osabe ist ein ganz normaler Teenager, gesegnet mit einem arbeitsamen Vater und einer besonders liebevollen Mutter. Nie hat es ihm an irgendwas gefehlt – dafür hat seine Mutter gesorgt. Nie war er einsam, denn seine Mutter hat ihn nie aus den Augen gelassen. Doch was für Seiichi als normal erscheint, ist für sein Umfeld mehr als befremdlich.

Dann offenbart ein Zwischenfall während eines Familienausflugs eine ganz neue Seite an seiner Mutter, und Seiichi wird bewusst, wie gefährlich ihre Liebe ist …

Manga Cult

Plus Ein ungewöhnlicher Einstieg

Blood on the Tracks - Scan 1CHI NO WADACHI© 2017 by Shuzo OSHIMI / SHOGAKUKAN

Die Einleitung zu »Blood on the Tracks« ist in Aquarell auf Bleistift gezeichnet und setzt einen weichen, aber auch leicht befremdlichen Grundton. Eine Mutter und ihr kleiner Sohn gehen bei bestem Wetter spazieren und sehen ein vermeintlich schlafendes Kätzchen am Wegesrand. Doch von einer Sekunde auf die nächste kippt die komplette Feel-Good-Stimmung: Das Kätzchen ist tot und in der Miene der Mutter keinerlei Überraschung oder Besorgnis. Stattdessen ein verschmitztes Lächeln, das impliziert, dass sie mehr weiß, als sie vor dem Kleinkind zugibt. Der extreme Kontrast des Einsatzes eines so zarten Zeichenstils plus der warmen Farben zum düsteren Inhalt lässt einen leicht verstört und geängstigt zurück.

Aus dieser Erinnerung heraus erwacht der junge Protagonist, Seiichi Osabe, und teilt mit den Lesenden seinen Alltag in seiner eigentlich ziemlich langweiligen, wenn auch liebevollen Familie. Von dem Moment an, in dem er seine Augen öffnet, endet auch der als Aquarell gezeichnete Teil und bereits das erste Panel beeindruckt durch den auf den Punkt getroffenen, verschlafenen Gesichtsausdruck und die detaillierte Ausschraffierung der Schatten auf dem Kopfkissen, die an den Stil von Naoki Urasawa erinnern.

Plus Gekonnter Spannungsaufbau

Seiichi Osabe ist auf den ersten Blick ein ganz normaler Junge, wenngleich er ziemlich schüchtern und zurückhaltend in der Interaktion mit seinen Mitschüler*innen wirkt. Mit dem Voranschreiten der Geschichte wird einem bewusst: Sein Leben besteht aus sehr strikten Routinen wie zum Beispiel dem wöchentlichen Besuch seiner Tante und des Cousins, die nicht ganz freiwillig zu sein scheinen. Man erwartet förmlich jeden Moment, dass er sich auflehnt und widerspricht, wenn seine Pläne mit den Schulfreund*innen abermals durchkreuzt werden. Mit jeder neuen Situation, in der er sich nicht durchsetzen kann, dämmert es dem Lesenden durch die sehr realistische Darstellung von Seiichis Verhalten, dass er Konflikte scheut und es nicht schafft, seine Wünsche zu äußern. Die Spannung wird teils so stark aufgebaut, dass ich als Leserin Seiichi quasi anschreien möchte, endlich einmal für sich selbst einzustehen.

Blood on the Tracks - Scan 2CHI NO WADACHI© 2017 by Shuzo OSHIMI / SHOGAKUKAN

Plus Die Welt aus Sicht des Teenagers

Wir erleben die Story aus Sicht von Seiichi und eine der Stellen, an der man merkt, wie gut dies dem Mangaka gelingt, ist die Tatsache, dass die unterschiedlichen Personen, mit denen er zu tun hat, durch ihre Darstellung aufzeigen, ob er sie mag oder nicht. Seine Tante, welche ihm und seiner Familie den gemeinsamen Urlaub aufzwingt, nimmt er mit unmodischer Frisur, faltiger Haut und stark hervorstehenden Zähnen wahr – je hässlicher er ihre laute, vorschreibende Art findet, umso prominenter finden die unschönen körperlichen Merkmale Raum in den Zeichnungen. Im Gegensatz dazu ist seine Mitschülerin Fukiishi, für die er vermutlich tiefere Gefühle hegt, sehr anmutig und schön gezeichnet.

Interessant wird es (nicht nur zeichnerisch) am Wendepunkt des Geschehens dieses ersten Bandes, wenn Seiichis Mutter Seiko eine ihm zuvor unbekannte und dunkle Seite zeigt, welche seine makellose Wahrnehmung von ihr komplett wandelt.

Plus Ein Manga mit Suchtpotenzial

Das Ende des ersten Bandes hinterlässt die Leser*innen in Schock auf zweierlei Art: zum einen, wie unfassbar das Erlebte ist, und zum anderen die Reaktion Seiichis darauf, bei der man sich mit der Entscheidung schwertut, ob sie richtig oder falsch ist. Über allem schwebt ein seltsames Aufgewühltsein und Angst davor, was passiert, wenn der Schüler sich seiner Mutter entgegenstellen und das wahre Tatgeschehen enthüllen würde. Der starke Wunsch nach der Auflösung dieser inneren Spannung ist es unter anderem, der dem Manga ein außerordentliches Suchtpotenzial verleiht und den Synapsen das Signal »Du brauchst Band 2!« gibt.

Blood on the Tracks - Scan 3CHI NO WADACHI© 2017 by Shuzo OSHIMI / SHOGAKUKAN

Fazit:

Shuzo Oshimi widmet sich in seinen Manga oft tollpatschigen und eigenartigen Hauptcharakteren, die an der Grenze zwischen Kindheit und Erwachsensein stehen. Auch »Blood on the Tracks« bildet dabei keine Ausnahme und das ist gut so, denn die Erforschung dieser zwei verschwimmenden Entwicklungsstände bietet jede Menge spannendes Potenzial für in den Bann ziehende Narrative.

Wer die ziemlich einzigartige Verknüpfung von Thriller, Crime und Coming-of-Age-Story liebt, landet ziemlich sicher irgendwann bei diesem Mangaka, der zusätzlich auch die Grenzen zur Perversion und zum Grotesken übertritt. Wie weit genau diese in »Blood on the Tracks« überschritten werden, lässt sich anhand des ersten Bandes alleine nicht beurteilen – doch er verspricht Spannung pur und ein Familiendrama am Rande des Wahnsinns. Diese Manga-Reihe bekommt von mir eine starke Empfehlung für Thriller- und auch Horrorfans.

Rezensionsexemplar - Manga Cult

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