Ersteindruck – »Hinamatsuri« – Dramedy auf Anime-Art

Warum immer auf eine Review nach Abschluss der Serie warten, wenn man sich schon nach der ersten Episode beziehungsweise dem ersten Band einen Eindruck bilden kann? Da setzt Ersteindruck an und gibt schon einmal einen Ausblick darauf, ob es sich lohnt, dem Anime oder Manga eine Chance zu geben oder nicht.

Hinamatsuri
Titel: Hinamatsuri
Genre: Comedy, Drama
Studio: feel
Release: 2018
Episode: 12 à 23 Minuten
Publisher: KSM Anime
Preis: 29,99 € (3 BDs)

(Basis für diesen Ersteindruck ist die erste Blu-ray-Volume, die KSM Anime in Deutschland vertreibt.)

Der Erfolg von Serien wie »91 Days«, »Reborn!« oder »Banana Fish« beweist, dass Anime, die sich mit der Mafia beschäftigen, ihre Zielgruppe haben. Doch trotz der Beliebtheit, die zum Beispiel auch die »Yakuza«-Videospielreihe manifestiert, werden japanische Mafiosi und ihre Lebenswirklichkeit nur sehr selten in Anime gezeigt. Aus diesem Grund ist »Hinamatsuri«, an dem sich KSM Anime die Lizenz gesichert hat, eine schöne Abwechslung. In dem Anime des Studios feel (welches auch verantwortlich ist für »Tsukigakirei« oder »My Teen Romantic Comedy SNAFU«) erleben wir aber keine rachedurchnässte Yakuza-Geschichte. Regisseur Kei Oikawa (»Outbreak Company«) erschafft auf der Vorlage des Manga von »Masao Otake« eine Dramedy im Stile von »Scrubs – Die Anfänger«. Doch überzeugt die Mischung aus Over-the-top-Comedy, Drama und Mafia-Geschichte?

(Zusammenfassung)

Harte Schale, weicher Kern – das trifft nicht nur auf Yakuza Yoshifumi Nitta zu. Eines Tages landet ein seltsamer metallischer Kokon in seiner Wohnung und daraus schlüpft die kleine Hina. Als diese sich als übernatürliches Mädchen entpuppt, wird die Situation richtig kompliziert …

KSM Anime

Plus Gut: Comedic Timing

Hinamatsuri - Frame 1Guter Humor lebt von seinen Punchlines und dem richtigen Timing der Witze. Essenziell hierfür ist, dass die Erwartungen des Zuschauers gekonnt benutzt werden, um Spannung aufzubauen: Es reicht nicht aus, Charaktere in einen Escort-Club zu schicken. Wenn man hingegen ein kleines Mädchen von sich aus sagen lässt, dass sie in diesen Club gehen möchte, ist dies witzig, weil es mit moralischen Normen bricht und völlig entgegen unserer Erwartungen passiert. Genau dies ist eine der Stärken von »Hinamatsuri«. Wir erleben zwar nur selten ein wirkliches Gag-Feuerwerk, jedoch reagieren Charaktere in ihren alltäglichen Situationen oft sehr irritierend, was mir immer wieder einen Lacher entlockte. Ein Grund hierfür ist Hinas Unkenntnis über die Regeln der menschlichen Welt gepaart mit ihren außerordentlichen psychischen Fähigkeiten. Speziell die urkomischen Close-up-Shots der Gesichter der Charaktere haben besonders großes Schenkelklopfer-Potenzial. Diese Art der Reaktion der Figuren auf die Handlungen der Mitcharaktere der Serie deckt sich in vielen Fällen auch mit dem Empfinden des Zuschauers und verstärkt den Lachreflex noch einmal.

Plus Gut: Glaubwürdige Welt

Hinamatsuri - Frame 2Manch einer ist vielleicht skeptisch: Wie funktioniert die Kombination aus Fantasy-Elementen, in der psychische Kräfte existieren, mit der harschen Realität der Yakuza? Mangaka Masao Ōtake schafft es, indem er die psychischen Kräfte in den Hintergrund stellt und das Vakuum eher mit Comedy-Szenen füllt. Somit werden Zuschauer bei dramatischen Szenen nicht aus der Immersion geworfen. Zusätzlich ist Hina ein kleines Mädchen, was dazu führt, dass sie ihre Kräfte nicht immer „sinnvoll“ einsetzt, sondern sie beispielsweise auch nutzt, um kleine Zaubertricks vorzuführen. Die unterschiedlichen Nebenschauplätze tun ihr Übriges: Hinas Rivalin Anzu wird durch verschiedene Umstände obdachlos und muss versuchen, in ihrer ärmlichen Lebenssituation klarzukommen. Doch sie ist darin nicht bloßes Mittel zum Zweck, um den Zuschauer zu erheitern. Es wird eine kleine Community von Obdachlosen gezeigt, die Anzu aufnehmen und sich nahtlos in die Welt einfügen. Mit großem Realismus wird dargestellt, dass diese Menschen das kleine Mädchen zwar sehr nett behandeln, aber auch mit einigen Schwächen (wie zum Beispiel Alkoholkonsum) zu kämpfen. Diese Glaubwürdigkeit findet sich in vielen weiteren Details: So werden in der deutschen Version die eher unwichtigen Yakuza-Charaktere von stark stereotypen Stimmen gesprochen, die definitiv zu viel »Der Pate« geschaut haben, im Kontext der Serie aber sehr passend gewählt sind.

Plus Gut: Handlungen haben Auswirkungen

Hinamatsuri - Frame 3Viele Comedy-Serien haben das Problem, dass ihre Charaktere sich nicht – oder nur sehr langsam – verändern, weshalb Geschichte sowie Humor etwas statisch wirken. Ein Zuschauer kann eine beliebige Folge »Shin-chan« schauen und versteht die Handlung problemlos, weil am Ende einer jeden Episode der Status quo wiederhergestellt wird. Auch »Die Simpsons« funktionierten eine lange Zeit nach diesem Muster. »Hinamatsuri« schafft es als Dramedy hingegen, eine zusammenhängende Geschichte zu erzählen, in welcher Handlungen nachvollziehbare Auswirkungen haben. Hinas Beziehung zu Nitta verändert sich von Episode 1 zu Episode 4 sehr stark, was zu komplett unterschiedlichen Situationen und somit auch zur Veränderung des Humors führt. Während zu Serienbeginn noch die Anpassungsschwierigkeiten an die neue Umgebung von Hina im Vordergrund stehen, sind es später eher ihre Eigenheiten im Umgang mit anderen Menschen. Dadurch wiederholen sich die Witze in der Serie nur selten. Speziell die Nebencharaktere verändern sich sehr und zeigen, dass sie mehr als nur Stereotypen sind, die für ’nen müden Lacher gut sind. Anzu lernt in den ersten vier Episoden viel über Menschlichkeit sowie Zusammenhalt, wodurch sie ihr ehemals görenhaftes Verhalten ablegt und zu einem sympathischeren Charakter heranwächst. Hinas Mitschülerin Hitomi hingegen war zu Beginn der Serie eine typische Streberin, verändert sich durch Hinas Einfluss sowie ihrer Arbeit in einer Bar aber so sehr, dass sie am Ende von Episode 4 ohne Probleme mit ihrem betrunkenen Lehrer über unglückliche Lebensentscheidungen philosophieren kann. Veränderungen dieser Art vollziehen sich in den unterschiedlichsten Bereichen und verändern die Handlung nachhaltig.

Fazit:

Statt einfachem Slapstick-Humor bietet »Hinamatsuri« eine gelungene Mischung aus Humor und Drama, die in Anime selten zu finden ist. Hervorzuheben sind speziell die unterschiedlichen, interessanten Charaktere, die unterschiedliche Perspektiven zu den einzelnen Situationen einnehmen. Fraglich ist nur, inwieweit der Anime sein Niveau hält: Werden sich die Charaktere weiter weiterentwickeln? Welche gar übernatürliche Organisation steckt hinter Hina und Anzu? Wer war das Mädchen aus der Anfangsszene der ersten Episode? Wenn diese Fragen wenigstens teilweise beantwortet werden, sehe ich großes Potenzial in der zweiten und dritten Volume der Serie. Bisher gilt eine uneingeschränkte Empfehlung für Fans von Comedy-Anime oder Serien wie »Scrubs« aussprechen.

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