Ersteindruck – »Spy × Family« – Eine wirklich perfekte Familie?

Warum immer auf eine Review nach Abschluss der Serie warten, wenn man sich schon nach der ersten Episode beziehungsweise dem ersten Band einen Eindruck bilden kann? Da setzt Ersteindruck an und gibt schon einmal einen Ausblick darauf, ob es sich lohnt, dem Anime oder Manga eine Chance zu geben, oder nicht.

Spy x Family - Band 1
Titel: Spy x Family
Genre: Action, Comedy
Mangaka: Tatsuya Endō
Release: März 2019 (JP)
Bände: aktuell 5 in Japan
Verlag: Kazé Manga
Preis: 7,00 € pro Band

(Basis für diesen Ersteindruck ist der erste Band.)

Welche Identität werde ich heute annehmen? Diese Frage stellt sich der Twilight häufig. Als Spion muss der Protagonist der Serie sich flexibel seiner Umgebung anpassen, doch seine neueste Aufgabe stellt ihn vor einige Probleme: Kann er den typischen Familienvater spielen? Seit Oktober können auch deutsche Fans den Genre-Mix aus Comedy und Action in den Händen halten. Nachdem die Serie in Japan ein riesiger Erfolg war, wollte ich mir den ersten Band unbedingt anschauen. Spionage-Thriller gehören selten zu meinen Lieblingsfilmen, aber der Mix aus Action und Comedy hat mich schon in »Hinamatsuri« überzeugt. Klappt das auch mit einer Spionage-Geschichte?

(Zusammenfassung)

Sein Code-Name ist Twilight und er ist einer der besten Spione, nein, DER beste Spion in Westalis! Doch als Twilight seine neue Mission aufgetragen bekommt, bleibt ihm die Spucke weg: Er soll kompromittierendes Material über den Vorsitzenden einer Partei, Donovan Desmond, herausfinden. Das Problem ist nur, dass dieser sehr zurückgezogen lebt und meist nur bei Events auftritt, die an der Schule seines Sohnes stattfinden. Also muss Twilight heiraten und ein Kind bekommen! Twilight wäre nicht der beste Spion, wenn er nicht umgehend dieses Problem lösen würde: Das Kind bekommt man aus dem Waisenhaus, über seine zukünftige Frau stolpert er wortwörtlich in einer Boutique. Was Twilight aber nicht weiß: Seine neue Tochter ist eine Telepathin und seine bessere Hälfte eine Auftragskillerin … Alle halten ihre wahren Identitäten geheim und versuchen gleichzeitig eine Familie zu werden. Das kann doch nur schiefgehen, oder?

Kazé Manga

Plus Gegen den Strom

Spy x Family - Scan 1

Ein Großteil der aktuellen Shōnen-Manga wie »Chainsaw Man«, »Demon Slayer« oder »Promised Neverland« spielen in düsteren Welten und bestechen durch ihre Schock-Momente oder ihre teilweise gruseligen Szenen. Dieser Trend ist nicht nur im »Weekly Shōnen Jump« zu beobachten. »Spy x Family« geht einen anderen Weg: Der Manga ist herzerwärmend, unbeschwert und somit eine gern gesehene Abwechslung zu dem sonst doch sehr düsteren Konkurrenten. Eine Welt, die stark an das Berlin der Nachkriegszeit angelehnt ist, eignet sich hervorragend für düstere und melancholische Momente, Zeichner Tatsuya Endō betont hingegen die vielen hellen Farbtöne und nutzt nur wenige schwarze Nuancen, um dem typischen Bild des Berlins dieser Zeit entgegenzuwirken.

Eine weitere Besonderheit ist das Nutzen eher fantastischer Elemente wie die speziellen Kräfte von Twilights Tochter Anya. Versuchen ähnliche Anime und Manga aus dem Spionage- oder Mafia-Genre wie »Joker Game« oder »91 Days« so realistisch wie möglich zu wirken, zielt »Spy x Family« eher darauf ab, spaßig zu sein. Dieser Unterschied zu bisher bekannten Manga mit ähnlichen Geschichten führt dazu, dass ich mich beim Lesen des ersten Bandes an keiner Stelle gelangweilt habe. Ich konnte nicht ahnen, welche verrückten Ereignisse im nächsten Kapitel geschehen, weil ich eine ähnliche Geschichte bisher noch nicht gesehen habe.

Plus Du bist nicht allein

Spy x Family - Scan 2

Ein Spion muss immer allein arbeiten und darf keine Freunde haben. Aus diesem Grund darf er sich auf niemanden verlassen. Das Konzept »Familie« vermittelt genau entgegengesetzte Werte: Vertrauen stehen an oberster Stelle und es gibt keine Situation, die man allein durchstehen muss. Dieser diametrale Gegensatz steht im Fokus des ersten Bandes des Manga und schon nach einigen Kapiteln lässt sich ein Fazit ziehen: Nicht alle Aufgaben sind allein zu bewältigen.

Twilight lernt schnell Yor kennen, eine Auftragsmörderin, die auch komplett eigenständig arbeitet und somit wie die perfekte Partnerin für ihn wirkt. Wir finden dann heraus, dass sie vor allem ihr Privatleben alleine nicht auf die Reihe bekommt. So muss Yor an einer Party teilnehmen, in dessen Gesellschaft sie eher schwach wirkt, da ihr die soziale Kompetenz fehlt. Als Twilight – als ihre Begleitung – verspätet auf der Party aufkreuzt, hilft er ihr aus der Situation heraus und zeigt, wie wichtig es sein kann zusammenzuarbeiten. Auch Twilight erhält Hilfe von Yor bei einer Verfolgungsjagd und merkt, dass es vorteilshaft sein kann, eine Partnerin zu haben. Beide Figuren scheinen sich auf den ersten Blick zwar stark zu unterscheiden, gemeinsame Situationen zeigen aber, dass sie beide gemeinsam am besten performen können – ein Beispiel hierfür ist das Elterngespräch am Ende des ersten Bandes.

Auch für Anja ist Einsamkeit ein großes Thema: Aufgewachsen in einem Kinderheim und ausgenutzt aufgrund ihrer Kräfte musste sie sich immer auf sich selbst verlassen und lernt durch das Zusammenleben mit ihren neuen Eltern, den Wert einer Familie zu schätzen. Spielen Yor und Twilight zunächst zwei unterschiedliche Rollen, scheinen diese sich im Laufe der Geschichte anzunähern, wodurch das Spielen von Rollen eventuell nicht mehr nötig ist. Auch Anja lernt im Zusammenleben mit ihren Eltern, dass sie mit ihren Problemen nicht mehr allein ist.

All dies funktioniert, da der Manga es schafft, die drei Hauptcharaktere clever zu charakterisieren. Es sind keine Flashbacks oder ähnliche Techniken nötig, da ihre Handlungen in den unterschiedlichsten Situationen genügen, um sie zu verstehen. Man könnte meinen, dass dies bedeutet, dass die Figuren nur simple Charakterzüge besitzen. Vielmehr bedeutet dies aber, dass wir behutsam an sie herangeführt werden und im Laufe der unterschiedlichen Situationen immer wieder neue Einzelheiten über sie erfahren, ohne dass Stilmittel verwendet werden, die den Leser aus der Situation herausreißen – Flashbacks, Informationskästen oder ähnliches.

Plus Informationsgefälle und das Spielen mit Erwartungen

Spy x Family - Scan 3

Das Problem vieler Familienmanga ist, dass es meistens nur wenige Möglichkeiten gibt, Kinder interessant darzustellen: Zumeist sind sie entweder nur sehr süß oder neugierig und dadurch witzig. Anya besitzt weitaus mehr Möglichkeiten durch ihre Spezialfähigkeit: das Gedankenlesen. Diese Fähigkeit führt zu einem Informationsgefälle zwischen den Manga-Charakteren und dem Leser. Dieses Informationsgefälle ist wiederum eine der größten Humor-Reservoirs von »Spy x Family«. So nutzt Anya ihre Fähigkeit beispielsweise, um ein Kreuzworträtsel schnell zu lösen. Der Witz entsteht dabei nicht aus Anyas Fähigkeiten, sondern aus der verständlich überraschten Reaktion von Twilight. Auch erfährt Anya schnell, welche Berufe ihre neuen Eltern ausüben und kann somit Situationen besser verstehen als sie, was wiederum teilweise zu verdutzten Reaktionen führt.

»Spy x Family« ist nicht nur in diesen Situationen witzig: Tatsuya Endō versteht es perfekt, mit den Erwartungen der Leser zu spielen, indem internalisierte Abläufe abgeändert werden. Als Yor und Twilight sich auf einer Verfolgungsjagd befinden und Letzterer Yor einen Heiratsantrag machen möchte, merkt er, dass er seinen Ring verloren hat. Spontan entscheidet er sich den Ring einer Handgranate zu nutzen, die er damit gezündet hat. Der Heiratsantrag wird dann mit einer Explosion im Hintergrund vorgetragen. Der Humor funktioniert bei mir, da er zwar sehr übertrieben, aber trotzdem selbstreferentiell ist. Endō weiß also, dass er hier stark übertreibt. Beispielsweise überwältigt Twilight einen Taschendieb mit einem Actionfilm-artigen Stunt auf offener Straße und sagt danach: „Ein Agent hinterlässt keine Spuren“. Der Manga nimmt sich selbst nicht immer ernst und das ist sehr sympathisch!

Fazit:

»Spy x Family« ist nicht ohne Grund ein Hit in Japan. Der Manga kombiniert Action mit zuckersüßen Familienszenen und stark übertriebenem Humor. Neben sauberen Zeichnungen konnten mich im ersten Band speziell die drei Hauptfiguren überzeugen, die nicht nur stark charakterisiert sind, sondern auch gut zusammen funktionieren. Die wichtigste Frage, die sich für mich am Ende des Bandes nun stellt, ist, wie schnell (oder langsam) Twilights erster Spionage-Auftrag vorbei sein wird und wie der Manga damit umgeht. Allein wegen dieser Frage möchte ich die nächsten Bände so schnell wie möglich lesen. Auch euch würde ich den ersten Band von »Spy x Family« ans Herz legen. Bei diesem Titel kann man nur wenig falsch machen.

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