Ersteindruck – »Savage Season« – eine Ode an die Pubertät

Warum immer auf eine Review nach Abschluss der Serie warten, wenn man sich schon nach der ersten Episode beziehungsweise dem ersten Band einen Eindruck bilden kann? Da setzt Ersteindruck an und gibt schon einmal einen Ausblick darauf, ob es sich lohnt, dem Anime oder Manga eine Chance zu geben, oder nicht.

Savage Season - Band 1
Titel: Savage Season
Genre: Slice of Life, Coming-of-Age
Mangaka: Mari Okada, Nao Emoto
Release: Dezember 2016 (JP)
Bände: in 8 Bänden abgeschlossen
Verlag: Tokyopop
Preis: 6,99 € pro Band

(Basis für diesen Ersteindruck ist der erste Band.)

Mari Okada ist eine der wenigen Anime-Drehbuchautoren, deren Name Fans im Westen hier und da aufhorchen lässt. Sie ist bekannt dafür, Probleme in Dialogen schnell ausmachen zu können und wie in »Hanasaku Iroha« Einfluss auf die Werke bis zu dem Punkt zu nehmen, wo Charaktere wie Ohanas alleinerziehende Mutter ihrer eigenen nachempfunden wurden. Kurzum: Ihre Rolle kommt dem amerikanischen Drehbuchautor, der die Verantwortung gegenüber dem Auftraggeber für die kreative Ausgestaltung trägt, wesentlich näher als dem japanischen Drehbuchautor, der im Kollektiv existierende Entwürfe ausarbeitet. Was also, wenn man sie auf die Geschichte eines Manga über pubertierende Sonderlinge in Form von fünf Oberschülerinnen ansetzt? So ziemlich die Essenz ihres bisherigen Handelns.

(Zusammenfassung)

Ein Lesekreis ist verstaubt, öde und was für alte Damen? Von wegen! Den Mädchen vom Literaturklub glühen regelmäßig die Ohren, denn ihre Romane drehen sich um ein besonderes brisantes Thema: Sex! Was auf dem Papier sinnlich und exotisch klingt, bringt die fünf Freundinnen immer wieder an ihre Grenzen. Dabei beginnt mit den aufkeimenden Gefühlen und ihrer unstillbaren Neugier die wohl wildeste Zeit ihres Lebens.

Tokyopop

Plus Bitterreal, aber auch bitterkomisch

Savage Season - Scan 1Handwerklich gibt es zum Konzept von »Savage Season« wenig auszusetzen. Es ist genial anzusehen, wie sich Charaktereigenschaften und Situationen zu bitterrealer Situationskomik verbinden. Beispielsweise wenn man den kindlichen Nachbarsjungen, der sich seit jungen Jahren für Züge interessiert, beim Masturbieren auf einen Bahn-Porno erwischt oder wenn die vermeintliche Klassenstreberin drei Tussis nach andauerndem Gossip über Jungs während der Selbstlernzeit anbrüllt, warum sie überhaupt zur Schule kommen, wenn sie sich sowieso von irgendeinem Studenten schwängern lassen wollen. Die Gefühle sprudeln einfach so aus den Mädchen heraus. Pubertät halt, aber wer kennt diese unaussprechlichen Gedanken nicht? Es gibt reichlich solche Situationen und Mari Okada weiß, wovon sie spricht, wenn sie eine Geschichte um hormonschleudernde Sonderlinge webt, die genauso ihre Schulzeit genießen wollen wie ihre beliebten Mitschüler. Das ist auf der einen Seite durch Überspitzungen total absurd, aber auch ernst in ihren Kernaussagen. Beispielsweise wenn sich eine Oberschülerin als Jungfrau unter dem Druck eines potenziellen Romandebüts im Erotikgenre bei einem Sexchat registriert, um glaubhaftere Texte schreiben zu können. Das Tempo, in dem sich die Ereignisse überschlagen, machen die Handlung gleichzeitig weniger vorhersehbar.

Plus Bitterreale statt bitterschmerzliche Erfahrungen

Savage Season - Scan 2Erinnert ihr euch noch an eure Pubertät? Wie Jungs sich aus eurer Sicht einfach immer wie totale Kinder aufführten? Oder man als Junge nicht so ganz schlau aus den Mädchen der Klasse wurde, die immerzu kicherten? Solche Szenen findet man in »Savage Season« zuhauf, und immer wieder sieht man sich oder seine Klassenkameraden in den Charakteren wieder, wenn die fünf Mädchen zum Beispiel mit hochrotem Kopf nur noch erotische Romane im Literaturclub der Schule lesen oder in allen Lebensmitteln nur noch Vulven oder Penisse sehen. Das hat Charme!

Die Geschichte von »Savage Season« steuert aber nicht auf bitterschmerzhafte Erfahrungen wie die anderen bekannten Okada-Werke zu – das merkt man schon sehr früh. Vielmehr baut man eine seltsame Bindung zu den Mädchen auf. Man will einfach, dass sie die richtigen Entscheidungen treffen und hinterher nichts bereuen. Als zum Beispiel Izumi, Kazusas Kinderheitsfreund, ein Mädchen, das ihm die Liebe gesteht, aus Rücksicht vor ihren Gefühlen nicht wirklich entschieden abweist, rennt Kazusa, die die Situation dank Niinas Handy-Aufnahmen aus der Ferne beobachtet hat, zu ihm und macht ihm deswegen Vorwürfe. Wenn ihr jetzt den Eindruck habt, dass jemand in dieser Situation nicht ganz ehrlich gegenüber ihren eigenen Gefühlen war, dann habt ihr vermutlich recht. Wie soll man auch auf die Gefühle anderer Rücksicht nehmen, wenn man selbst noch nicht so richtig weiß, wie man mit diesen ganzen Erwachsenengefühlen, wie Kazusa sie nennt, umgehen soll? Diese Aussage bringt Mari Okada unmissverständlich immer wieder zum Ausdruck, was sich aber aufgrund der Unterschiedlichkeit der Charaktere als weniger repetitiv herausstellt, als man das vielleicht vermutet. Ganz subjektiv hat einfach nicht jeder Charakter dasselbe Sogpotenzial – so geht es mir zum Beispiel mit Kazusa, mit der sich der erste Band größtenteils auseinandersetzt.

Minus Bitterreal, aber auch als Manga?

Savage Season - Scan 3Mari Okada hat keinen künstlerischen Hintergrund. Sie hatte sehr viel Glück, dass Regisseure wie Masahiro Andō und deren Teams ihre Ideen als drehbuchschreibende Quasi-Produzentin verstanden. Es scheint unfair, Mangaka Nao Emoto an der Leistung ganzer Animationsteams zu messen, aber tun wir es der Erkenntnis zuliebe:

Das Cover liefert einen ersten Anhaltpunkt über die künstlerische Richtung: Amaryllis-Blüten. Kein japanischer Künstler nutzt Blumen, ohne die metaphorische Bedeutung zu beachten. Also kurz nachgeschlagen: Sie stehen für Schüchternheit. Alles klar. Damit lässt sich arbeiten!

Tatsächlich ist Nao Emotos Zeichenkunst immer dann am stärksten, wenn sie dieses Prinzip beherzt. Außergewöhnlich stark sogar! Mit Lichtstrahlen überbelichtet wirkende Panels, Bleistiftschraffuren für errötende Wangen – das ganze Programm. Den vielen, kleinen Variationen in Bezug auf die Augen stehe ich im Allgemeinen eher positiv gegenüber. Sie tragen wie Hongōs zugekniffene Augen, die die Auswirkungen ihrer schlaflosen Nächte vor dem Texteditor zeigen, zur Charakterisierung bei oder fangen die Stimmung ein.

Die Comedy-Szenen kommen nicht ganz so gut weg. Sie stützen sich zu sehr auf Speedlines und Focuslines für ihre Wirkung und nutzen eine recht kleine Auswahl an Rasterfolien als Hintergründe oder überhaupt keine Hintergründe – wenn auch manchmal einfach für das Comedic-Timing.

Fazit:

»Savage Season« ist Mari Okadas bislang natürlichstes Werk. Die unterschiedlichen Charaktereigenschaften einer Gruppe hormonschleudernder Sonderlinge eines Erotikbücher-lesenden Literaturklubs sind die perfekte Vorlage für bitterreale Situationskomik. Mehr noch: Es zeigt Mädchen in der Pubertät so nahbar, dass man nicht anders kann, als ihnen alles Gute zu wünschen, auch wenn nicht jede Figur dieselbe Sogwirkung hat. Nao Emotos Zeichnungen sind dem Material nicht vollends gewachsen: Es fängt Shōjo-Momente, mit einem cleveren Konzept ein, die die Schüchternheit der Mädchen betont, setzt die überspitzten Gag-Momente aber „more of the same“ um.

Rezensionsexemplar - Tokyopop

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