Angezockt – »The Last of Us Part I« – Ein Remake fängt den Zeitgeist ein

Wenn Anime-Fans nicht Anime schauen oder Manga lesen, tun sie was? Richtig, vermutlich zocken und darum geht es hier: Wir schnappen uns ein aktuelles Game und schreiben unsere Gedanken dazu nieder, um am Ende die Frage beantworten zu können, ob sich ein Kauf denn jetzt lohnt.

The Last of Us Part I - Boxart
Titel: The Last of Us Part I
Genre: Action-Adventure
Publisher: Sony Interactive Entertainment
Entwickler: Naughty Dog
Release: 2. September 2022
USK: Ab 18 Jahren
UVP: 79,99 Euro

Mit »The Last of Us« haben Naughty Dog und Sony 2013 Geschichte geschrieben – meiner Meinung nach absolut zu Recht! Kaum ein anderes Spiel hatte zu dieser Zeit eine solch kinoreife und dramaturgisch tiefgründige Geschichte in das eigentlich bereits völlig ausgeschlachtete Zombie-Genre gedichtet und selbst über die Genre-Grenzen hinweg gab es wenig Konkurrenz, die »The Last of Us« das Wasser reichen konnte. Nachdem der PlayStation-3-Titel 2014 bereits für PlayStation 4 als Remaster rauskam, erscheint nun mit »The Last of Us Part I« ein von Grund auf neu entwickeltes Remake für PlayStation 5. Was uns der Titel neben der wohl offensichtlichsten Antwort, nämlich einer besseren Grafik, im Jahre 2022 noch bieten kann, versuchen wir gemeinsam in dieser Review herauszufinden.

 

Hello darkness, my old friend

The Last of Us™ Part I_20221018012955Als wir in der Redaktion beschlossen hatten, »The Last of Us Part I« zu besprechen, war ich neugierig. Neugierig, nach 9 Jahren wieder zurück zu einem Titel zu gehen, den ich über alles geliebt habe. Das PlayStation-4-Remake hatte ich damals nicht gespielt (aber für diese Review ebenfalls in Betracht gezogen). Als das Spiel dann letztendlich bei mir angekommen ist, hat es mich aber doch über eine Woche Überwindung gekostet, um es wieder zu starten. Zu groß war die Furcht davor, sich wieder mit dem Prolog zu beschäftigen. Vielleicht, aber sicherlich auch nicht nur, weil ich selbst bald Vater werde. Denn (Achtung Spoiler) der Prolog, der das Schicksal von Joel und seiner Tochter Sarah beleuchtet, gehört auch heute noch zu den traurigsten und schonungslos inszeniertesten Openings in der Geschichte der Videospiele. Wo andere Vertreter des Zombie-Genres damit beginnen, ihre klischeebeladene Truppe stereotypischer Teenager vorzustellen, von denen man sofort weiß, wer als Erstes den Hirnfressern zum Opfer fällt, schlägt uns »The Last of Us Part I« innerhalb der ersten 15 Minuten abwechselnd dermaßen hart in die Fresse und den Magen, dass man sofort weiß, auf welch emotionalen Trip man sich nun einlassen wird. Nach einer halsbrecherischen Verfolgungsjagd, die mitten im Ausbruch der Pandemie spielt, erreichen wir mit Joel und Sarah die Grenze zu einem mutmaßlich sicheren Gebiet, nur um dann von Soldaten der Regierung niedergeschossen zu werden. An seinem eigenen Geburtstag muss Joel mit ansehen, wie seine Tochter aufgrund der Schusswunden qualvoll in seinen Armen stirbt.

The Last of Us™ Part I_20221018012847Doch viel Zeit zur Trauer bleibt nicht, denn noch während uns betonschwere Steine im Magen liegen, springt das Spiel 20 Jahre in die Zukunft. Die Pandemie konnte nicht unter Kontrolle gebracht werden und wir spielen einen mürrischen, von der Zeit gezeichneten und ergrauten Joel, der in einer dystopischen Zukunft lebt, die absolut nichts mit Neonlichtern, Cyberpunk und Blade Runner zu tun hat.

Wer bis hierhin aufmerksam gelesen hat, wird das Wort »Pandemie« das ein oder andere Mal aufgeschnappt haben und ja, makabrer, aber auch ironischer könnten die Parallelen zum aktuellen Weltgeschehen nicht sein. Dass ein Spiel wie »The Last of Us Part I« zu einer Zeit herauskommt, in der unsere eigene Gesellschaft selbst von einer seit fast drei Jahren andauernden Pandemie gezeichnet ist, fällt wohl mehr als alles andere unter die Kategorie »Ironie des Schicksals«. Wo uns »The Last of Us 2013« bereits subtil den Spiegel vorgehalten hat, ist 2022 mit »The Last of Us Part I« davon keine Spur mehr übrig. Fiktion und Realität blenden ineinander über und zeigen ein schockierendes »Was wäre, wenn?«, in welchem eine Pandemie sämtliche Spuren eines normalen Lebens und Alltags verwischt hat und Essensmarken, Gewalt und eine Menschheit am Abgrund die neue Normalität geworden sind.

The Last of Us™ Part I_20221018013622Doch nicht nur damit trifft »The Last of Us Part I« den Nagel auf den Kopf. Ein weiteres wichtiges Thema, das seit Jahren zu immer größer werdenden gesellschaftlichen Konflikten führt, wird unfreiwillig von einem Spiel, dessen Geschichte bald zehn Jahre alt wird kommentiert, als wäre es aktueller denn je: der Klimawandel. Denn überall dort, wo in »The Last of Us« keine Menschen mehr leben, erblicken wir Häuser, Straßen, Autos und so weiter, die von der Natur regelrecht aufgefressen und zurückerobert werden. In einer Zeit, in der wir immer mehr mit den Konsequenzen unseres Handelns konfrontiert werden und miterleben, wie die Natur unter uns leidet, ist der Anblick dieser Ruinen in »The Last of Us« fast schon komisch – auf eine sehr dramatische Art und Weise. Denn wer hat sich nicht schon einmal gefragt, was wohl passieren würde, wenn der Mensch nicht mehr existiert und die Natur sich all das zurückholen kann, was wir über Jahrhunderte industrialisiert haben? Seltsamerweise vermitteln diese eigentlich dystopischen Bilder verlassener, überwucherter Häuserruinen zwischen all den Zombies – ääh … Pardon, »Clickern« – dem menschlichen Leid und der Gewalt eine unbestreitbare Ruhe, Romantik, fast schon Schönheit. Man könnte also beinahe sagen, dass »The Last of Us 2013« eine fiktionale Zukunft zeigen wollte, die nun mit »The Last of Us Part I« in 2022 ein bisschen weniger fiktional und ein bisschen mehr Realität geworden ist. Wir beobachten in der Rolle des Spielers und aus dem Blickwinkel von Joel, wie eine Gesellschaft ums Überleben und eine gemeinsame Zukunft kämpft, nachdem es eigentlich fast schon zu spät ist.

Zu einer Zeit, in der Popkultur und medialer Konsum sehr stark von Remakes, Fortsetzungen und dem kommerziellen Ausschlachten von Nostalgie geprägt sind, verstehe ich durchaus, dass so manch einer bei der Ankündigung von »The Last of Us Part I« die Augenbrauen hob. Trotzdem muss ich sagen, dass es kein Remake gibt, dessen zeitlicher Release so sehr Sinn ergibt, wie es der von »The Last of Us Part I« genau jetzt tut.

 

Ein etwas anderer Blickwinkel & Fazit

gelber Daumen

Wer sich nun fragt, wo in dieser Review eine Bewertung zum Gameplay, spielerischer Abwechslung et cetera pp. bleibt, den muss ich an dieser Stelle enttäuschen. Dazu wurde meiner Meinung nach schon genug gesagt, vor allem wenn man bedenkt, dass dies nach 2013 und 2014 bereits den dritten Release von »The Last of Us« darstellt. Viel wichtiger war es mir darzulegen, wie ich am Beispiel von »The Last of Us Part I« die Ereignisse, die spätestens seit März 2020 unseren Alltag dominieren, reflektiert habe und warum der Titel in meiner Wahrnehmung dadurch aus dem Nostalgie- und Remake-Einheitsbrei heraussticht. Genug gesagt wurde auch schon zu Gustavo Santaolallas fantastischem Soundtrack, der nun zusammen mit dem atemberaubenden Sounddesign des Spiels in 3D-Audio die respektiven Heimkino-Anlagen und Gaming Headsets neu bespielt. Und genug wurde zum Spielprinzip, einem völlig unaufgeregten, fast schon unverschämt standardmäßigen Deckungsshooter mit Crafting-Elementen, gesagt. Denn seien wir ehrlich – das Gameplay war nicht das, was »The Last of Us« zu einem Meisterwerk machte. Es war nur Mittel zum Zweck, um die Geschichte zu transportieren, und die Geschichte selbst ist es, die im Kontext unserer eigenen ein Eigenleben entwickelt und Gedanken in uns auslöst, die wir 2013 in dieser Form noch nicht haben konnten. Deshalb kann ich nicht anders, als »The Last of Us Part I« bedingungslos zu empfehlen, sowohl all denen, die nicht in den Genuss des Originals gekommen sind, als auch denen, die das Spiel bereits kennen. Ihr werdet eure alte Liebe nicht wiedererkennen – den Herzschmerz, den Joels Reise mit sich bringt, aber schon.

 

Plus Minus
  • kinoreife Geschichte mit unvergleichlicher dramaturgischer Tiefer
  • »State of the Art«-Grafik, die der Bezeichnung »Remake« mehr als würdig ist
  • fantastischer Soundtrack und immersives Sounddesign
  • Fans technischer Spielereien werden sich im Foto-Modus stundenlang verlieren
  • DLC »Left Behind« komplett inkludiert
  • Gameplay nur Mittel zum Zweck, um von Cutscene zu Cutscene zu kommen und die Geschichte weiter zu erleben. Betrachtet »The Last of Us« eher als interaktiven Film mit Schleich- und Deckungsshooter-Passagen.
  • Auch wenn sehr viel Arbeit im Remake steckt und es grafisch wirklich zur Speerspitze der PS5-Titel gehört, hätten 79,99 Euro UVP wirklich nicht sein müssen. Das haben andere Remakes ähnlicher Qualität in der Vergangenheit deutlich besser und kundenfreundlicher gelöst.

Rezensionsexemplar - Sony

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