Ersteindruck – »Belle« – Welcome to the Metaverse

Warum immer auf eine Review nach Abschluss der Serie warten, wenn man sich schon nach der ersten Episode beziehungsweise dem ersten Band einen Eindruck bilden kann? Da setzt Ersteindruck an und gibt schon einmal einen Ausblick darauf, ob es sich lohnt, dem Anime oder Manga eine Chance zu geben, oder nicht.

Spy x Family
Titel: Belle
Genre: Romance, Sci-Fi, Coming of Age
Studio: Studio Chizu
Jahr: 2021
Laufzeit: 122 Minuten
Publisher: KSM Anime
Kinostart: am 9. Juni im Kino

Spätestens nach Mark Zuckerbergs Präsentation zur Neuausrichtung Facebooks war der Begriff Metaverse in aller Munde. Dennoch: Viele Firmen haben bereits ihre eigenen Gedanken und Pläne hierzu mehr oder minder veröffentlicht. Umso mehr freute ich mich zu hören, dass auch Mamoru Hosoda als jemand, der sich gleichermaßen für Technik wie menschliche Beziehungen interessiert, dieses Thema in seinem neusten Film aufgreift. Doch wie sieht sein Entwurf aus und wie ist er zu bewerten?

(Zusammenfassung)

»In U kannst du ein neues Leben beginnen. AS ist deine zweite Identität. Im echten Leben gibt es keinen Neustart, in U schon. Hier kannst du die Welt retten.«

Mit diesen Worten begrüßt eine sanfte Computerstimme den Zuschauer in »Belle«. U ist hierbei eine künstliche Welt, ein Metaverse, in dem sich 5 Milliarden Menschen bereits angemeldet haben und ihr zweites Leben verbringen. Der Avatar – AS genannt – wird hierbei automatisch anhand der biometrischen Daten des Nutzers erstellt und lässt sich nicht verändern.

Die 17-jährige Suzu lebt mit ihrem Vater im ländlichen Japan. Bereits früh lernte sie den Umgang mit dem Smartphone und lebte sich in Musik-Apps künstlerisch aus. Doch der plötzliche Tod ihrer Mutter während eines Taifuns stürzte sie in eine tiefe Trauer. Von dem Versprechen gelockt, in U ein neues Leben beginnen zu können, öffnet sie schließlich eines Tages die App und versucht, sich anzumelden. Sie staunt nicht schlecht, als ihr ein wunderschöner AS erstellt wird, der sie stark an ihre bildhübsche und beliebte Mitschülerin erinnert.

Nach einer spontanen Gesangseinlage wird Suzu quasi über Nacht zum gefeierten Popstar von U. Sie kann es nicht fassen, dass plötzlich alle Augen auf sie gerichtet sind und sie ihre Liebe für die Musik, welche die Beziehung zwischen ihr und ihrer Mutter so geprägt hat, wieder ausleben kann. Doch eines Tages taucht während eines Konzerts ihres Avatars Bell ein mysteriöses Biest auf. Sie ist von dessen Zerstörungsdrang so fasziniert, dass sie unbedingt herausfinden möchte, was es mit dieser Person und ihrem unbändigen Hass auf sich hat.

eigene Beschreibung

Plus Die bessere Neuverfilmung von »Die Schöne und das Biest«?

Nach einem emotionalen Start rund um den Tod von Suzus Mutter und die sowohl psychischen als auch zwischenmenschlichen Probleme, die das junge Mädchen seither mit sich herumträgt, entwickelt sich »Belle« schnell zu einer modernen Fassung von »Die Schöne und das Biest«. Regisseur Hosoda selbst räumte in Interviews ein, wie stark er sich an Disneys Klassiker orientierte. Dies spiegelt sich am stärksten im Schloss des Biests wider. Die sprechenden Gegenstände wurden durch kleine AIs ersetzt, der Treppenaufgang ist komplett identisch und auch die berühmte Tanzszene im Ballsaal wurde übernommen. Davon abgesehen erinnern Bells Kleidung und ihre Frisur stark an ebenjene schöne Bauerntochter Belle. Für den Film arbeitete man schließlich auch mit dem Charakterdesigner Jin Kim zusammen, der bereits an Disneys »Die Eiskönigin«, »Rapunzel« und »Vaiana« mitwirkte. Das Schloss selbst wurde von Isamu Kamikokuryu designt, einem der Art Director von »Final Fantasy XII«, »Final Fantasy XIII« und »Final Fantasy XV«.

Hosoda sagte, dass ihn an der Geschichte vor allem der Gegensatz fasziniert: Etwas Hässliches kann innerlich doch schön sein. Im Gegensatz zu modernen Neuverfilmungen der alten Disney-Klassiker wirkt »Belle« hier wie eine gelungene Neuinterpretation, welche sich moderner Animationstechniken bedient und einen deutlich stärkeren Bezug zur Lebensrealität heutzutage herstellen kann als die Geschichte eines Bauernmädchens aus dem 18. Jahrhundert. Die Verbindung der virtuellen Märchenwelt mit modernen Themen wie häuslicher Gewalt schafft einen Spagat, der Disney selten und wenn, dann nur oberflächlich gelingt.

Plus Zwei Welten, zwei Stile

Belle - Screenshot 1©2021 Studio Chizu

Untermalt wird die Atmosphäre des Films von zwei Welten – der realen und der virtuellen –, die unterschiedlicher nicht aussehen könnten.

Während in der realen Welt wunderschöne handgezeichnete Hintergründe prangen, welche das japanische Alltags- und Schulleben illustrieren, ist die virtuelle Welt sehr abstrakt und surreal gehalten. Dies wird nicht zuletzt dadurch unterstrichen, dass man sich in U für einen 3D-gestützten Animationsstil entschieden hat. Dieser ist in dezentem, noch sehr zweidimensional wirkenden CGI gehalten, was sich dennoch deutlich vom klassischen 2D der Alltagsszenen, wie man es sonst aus Anime kennt, abgrenzt.

Hosoda verdeutlicht damit die visuellen Unterschiede beider Welten, zeigt jedoch auf einer inhaltlichen Ebene auch, dass diese sich immer weiter angleichen. Das Internet beziehungsweise in diesem Fall das Metaverse verschwimmt immer mehr mit unserem echten Leben.

Minus Ist U das Metaverse? Oder ist das Metaverse U?

Belle - Screenshot 2©2021 Studio Chizu

Hosoda selbst sagt, er wisse um die Zweischneidigkeit des Internets.

»In sehr vielen Filmen wird dieses Thema als Dystopie dargestellt und es sind immer negative Zukunftsvisionen damit verbunden. Ich wollte […] zeigen, dass soziale Netzwerke auch etwas Positives bewirken können.«

Diese positivistische Haltung wird gerade gegen Ende von »Belle« sehr deutlich. In den Anfangsszenen sieht man hingegen Beispiele für typischen Internet-Gossip rund um angesagte Virtual Singer wie Peggy Sue, welche vor Bell die wohl bekannteste Sängerin in U war. Auch wird Bell selbst mit viel Verachtung in der Welt begrüßt. Man ignoriert sie und wirft ihr Aufmerksamkeitshascherei vor. Dies ändert sich erst, nachdem ein Musikclip von ihr viral geht.

Hier wird die japanische Online-Community von ihrer toxischen Seite gezeigt. Zahlen von Twitter zufolge überholte Japan 2021 erstmals die USA, was die Höhe der Löschanträge für Tweets auf der Plattform angeht. Hate Speech scheint somit auch in Japan eine große Rolle zu spielen und fand deshalb auch Einzug in Hosodas Werk.

Auf der anderen Seite betont der Film, dass die virtuelle Realität neue Stars hervorbringt und somit für grenzenlose Möglichkeiten und einen überraschenden sozialen Aufstieg steht. Der AS als neue Identität soll gleiche Chancen beim Neuanfang ermöglichen, so Hosoda.

»Man wird sozusagen durch das System überrascht, weil man selbst keinen Einfluss hat. Es wird eine versteckte Seite von sich selbst widergespiegelt. Der Grund, warum dieses System so funktioniert, ist, dass jeder User sich noch einmal neu entdecken kann. Man sieht, wie Suzu sich selbst immer wieder als Belle in der Avatar-Welt wiederfindet. […] Sie wird von ihrem Avatar inspiriert und ihre versteckten positiven Seiten kommen dadurch zum Vorschein. Damit lässt sich das System von „U“ ganz gut erklären und wozu es gut sein kann.«

Bei all dem Optimismus, welcher hinter dieser Message steckt, ist U jedoch weit entfernt, den Traum von einem selbstbestimmten Leben in einer neuen Welt wahr werden zu lassen. Ein Avatar, der vorgeschrieben wird und im Fall von Bell noch dazu wunderhübsch ausfällt, verschafft Nutzern auch hier einen Startvorteil. Dagegen sieht man viele andere Nutzer, die als seltsam anmutende, amöbenartige Wesen oder sogar als beleidigtes Baby sich in der digitalen Welt bewegen. Dies stimmt weniger optimistisch als vielmehr machtlos. Auch in U gilt wie in der realen Welt die Gnade der Geburt, da die Avatare nun einmal anhand der biometrischen Daten geschaffen werden. Letzten Endes entscheidet ein Algorithmus darüber, was als schön und was als hässlich gedeutet wird. Die aufmerksamkeitshaschende, ältere Frau mit dem beschriebenen Baby-Avatar ist hierfür ein perfektes Beispiel.

Die fünf Voices, welche als Gründer von U gelten, bleiben dabei im Verborgenen. Es gibt keinerlei Einsicht in das System und den Algorithmus zur Avatar-Erstellung. Parallelen zu unserer aktuellen Internetlandschaft sind offensichtlich. Auch der Slogan von U »Hier kannst du die Welt retten«, vorgetragen von einer typischen weiblichen Werbe-Stimme, erweckt weniger den Anschein einer schönen Utopie als den nach gutem Marketing.

Fazit:

»Belle« ist ein Hosoda-Film, wie man ihn kennt. Eine Protagonistin, die in einem detailliert gezeichneten modernen Landhaus lebt. Wunderbar authentische, teils Fremdscham hervorrufende Alltagssituationen vor detaillierten 2D-Hintergründen, welche die Schönheit Japans hervorbringen. Dazu ein Soundtrack, der mit der Emotionalität und dem Pomp moderner Disney-Filme mithalten kann und Gefühle sowie Lebenssituationen musikalisch verarbeitet.

Auch wenn der Film – seinem Referenzwerk geschuldet – letztlich eine leicht kitschige Liebesgeschichte erzählt und dabei viel Optimismus und Schöne-neue-Welt-Charme versprüht, so bleibt doch ein Hauch von Naivität zurück. Die moderne Welt ist kein Disney-Film und beflügelt von dieser Geschichte schlägt man allzu schnell auf den harten Boden der Realität auf. Eine etwas realitätsnähere aber dennoch hoffungsvolle Zukunftsvision wäre mir lieber gewesen.

Hosoda selbst meinte in einem Interview, er wolle mit diesem Film seiner heranwachsenden Tochter einen Hoffnungsschimmer für die Zukunft mitgeben. »Belle« zeichnet jedoch keine Zukunft, in der jeder alles erreichen und entschlossen seinen Weg gehen kann. Vielmehr sind auch hier die Protagonisten Gefangene ihrer Umstände und durch diese prädestiniert. Ob sich am Ende wirklich etwas für die Charaktere verändert hat, lässt der Film bewusst offen.

Aus diesem Grund würde ich den Film nicht als Leitfaden für die Jugend sehen. Er liefert der jungen Generation keine Anleitung, wie sie die Herausforderungen der Zukunft meistern kann. Dafür ist die Message von »Belle« nichts weiter als ein Kalenderspruch und dessen virtuelle Welt nur eine weitere Kopie der realen. Eine konkrete Lebensweisheit bleibt Hosoda uns weiterhin schuldig und ich hoffe, seine Tochter wird uns diese irgendwann nachreichen.

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