Anime-Review: 91 Days

91 Days - Cover(Quelle: MAL)
Titel: 91 Days
Genre: Actiondrama
Studio: Shuka
Release: 2016
Folgen: 12 à 24 Minuten
Publisher: Crunchyroll
Preis: im Simulcast-Abo

Tony Soprano, Don Corleone, Sal Marcano: Die Mafiabosse der literarischen Welt haben schon immer einem Mann hinterher geeifert. Al Capone. Er war skrupellos, aber auch ein grandioser Selbstinszenierer. Nach außen ein wohltätiger Geschäftsmann, im Inneren ein skrupelloser Schutzgelderpresser und der Erfinder der Geldwäsche. Niemand konnte ihm etwas anhaben – sofern ihm sein Leben lieb war – und zu der Zeit um 1919 als Alkohol in den Staaten unter Verbot stand, machte er mit seinem Syndikat die dicken Scheine.

Mit ihrem ersten Originalwerk eifert Jungstudio Shuka diesem Idol ebenfalls hinterher … und geht damit ganz schön auf Risiko. Denn im Land der aufgehenden Sonne war es um bitterernste Serien fernab von Oberschulen und Superkräften in den letzten Jahren schlecht bestellt. Ob sich das Wagnis nun aber ausgezahlt hat und ob auch Mafia-Liebhaber dem Ganzen was abgewinnen können, erfahrt ihr in unserer Review.

(Zusammenfassung)

Das klassische Mafia-Drama spielt während der Prohibitionszeit. Im sogenannten Lawless-Bezirk kümmert sich keiner mehr um bestehende Gesetze, die Mafia regiert über die Straßen der Stadt und illegal hergestellter Schnaps wird offen an Interessierte verkauft. Einst lebte Avilio in diesem Bezirk, nachdem aber seine Familie durch die Mafia ermordet wurde, tauchte Avilio unter und lebte seither im Untergrund. Ein Brief, den Avilio von einer mysteriösen Person zugestellt bekommt, entzündet in ihm die Leidenschaft für die Rache und so entschließt er sich dazu nach Lawless zurückzukehren. Langsam dringt er in die Kreise der Mafia-Familie Vanetti ein und kommt so in die Nähe von Nero, dem Sohn des Familienoberhauptes.

Handlung

91 Days ist Studio Shukas erstes Originalwerk und es hätte total schiefgehen können. Im goldenen Zeitalter der Mafia-Banden konkurrieren die Familien Vanetti, Galassia und Orco um Lieferwege, Kirchen- und Hinterhauskneipen für illegalen Schnaps im amerikanischen Illinois mit allem was dazugehört: Machthunger, Verrat, Loyalität, Untertauchen, Schutzgeld, korrupte Bullen – selbst unseren christlichen Glauben hat man in Japan verstanden. Einmal drin, zwingt einem das Mafiabusiness seine Regeln auf und ist nur mit Methoden des Systems bekämpfbar. Aussteigen ist nicht. Avilios Vendetta muss also erst mal hintenanstehen, dachte ich zunächst. Doch plötzlich gerät Avilio in eine Schießerei und freundet sich so mit dem Sohn des Dons an – schon kann die Geschichte starten. Dieses angenehme Tempo und die angespannte Atmosphäre, bei dem man immer ein Druckmittel in der Hand hat oder ansonsten entsorgt wird, fängt der Anime ganz wie US-Spielfilm Der Pate ein, von dem man sich sogar beim Logo hat inspirieren lassen. Leider fehlt dem Ganzen dadurch für Mafia-Enthusiasten ein eigener Charme und droht sofort wieder vergessen zu werden, auch wenn der rote Faden ziemlich kräftig daherkommt. Und wann kommt der zweite Teil? Vermutlich gar nicht, denn 91 Days kommt mit einem cleveren Plottwist am Ende als alles schiefzugehen droht tatsächlich ohne offenes Ende aus.

Charaktere

Die Geschichte dreht sich um Avilio Bruno, der eigentlich Angelo Lagusa heißt und Mutter, Vater und Bruder an die Vanettis verlor, weil sein Vater zu viel wusste. Er ist entsprechend umsichtig, ernst und gefühlskalt völlig auf seine Rache fixiert, in der Hoffnung dadurch einen neuen Sinn im Leben zu finden. Auf der anderen Seite steht Nero Vanetti, der als Sohn des Dons mit Stolz und einer unbekümmerten Lebenseinstellung in Mitten seiner Gefolgsleute verkehrt. Seinen Bruder Frate plagen deswegen Minderwertigkeitskomplexe und sein Vater Don Vincente versucht trotz seiner schweren Krankheit, der Familia wegen noch eine Weile durchzuhalten. Dabei scheint es eigentlich so, als würde durch die Heirat seiner feinfühligen Tochter Fio mit dem überheblichen Neffen von Don Galassia alles in Ordnung kommen. Was in der Übersicht ganz okay klingt, entpuppt sich als sehr eindimensionale Angelegenheit. Ihr könnt euch glücklich schätzen, wenn ihr nach zehn Episoden gesagt bekommt, dass Schwarzbrenner und Mafiahasser Corteo als Avilios Kindheitsfreund deswegen so agiert, weil er Sohn eines Pfarrers ist. Fango hingegen bleibt einfach nur ein sadistischer, machtgeiler Masochist, der total durchgeknallt agiert. Schade eigentlich, denn gerade interessante Personen wie der vorsichtige, intelligente Brillenträger Barbero aus Neros Beraterstab charakterisieren sich so mehr durch ihr Aussehen als durch Verhalten oder Hintergrundgeschichte. Ganz im Gegensatz zu Gungrave aus dem Jahr 2003.

Animation

Mensch, Studio Shuka, eigentlich will man dich mögen. Du zeichnest deine Charaktermodelle mit so viel Liebe. Ihre kantigen Gesichter, die gleichzeitig breiten und spitzen Kinnpartien, verschiedenartigen Bärte, enge Stirnfalten. Sogar dem emotionslosen Avilio hauchst du Leben ein. Deine porträtartigen Landschafts-Hintergründe in seinen Braun-, Grün-, Orange- und Lilatönen sind eine Wonne und auch die orientalischen Teppiche und Blumentapeten passen nicht nur in die Zeit, mit einem American Foxhound und einer Shell-Tankstelle beweist du, dass du deine Hausaufgaben gemacht hast. Warum hast du also solche qualitativen Durchhänger? Zumindest hast du die Notbremse gezogen und eine Recapfolge eingeschoben. Es ist okay, Gewaltdarstellungen aus dem Weg zu gehen und die Rücken der Sprecher zu zeigen, um dem Aufwand fürs Animieren des Mundes zu entgehen – zumindest beweist es, dass du deine Charaktere aus allen Winkeln stimmig zeichnen kannst – aber du hast dir doch schon zu Recht die arbeitsintensiven Anime-Augen gespart, überall Strichmännchen im Hintergrund platziert und den Variantenreichtum der Autos auf ein paar Umfärbungen reduziert. Wenn ich dann allerdings die vielen Nahaufnahmen von Dingen wie Eidechsen, Eiertritten oder Urinstrahlen sehe, muss ich gestehen, dass du gar keinen so schlechten Job gemacht hast.

Sound

Mit seinen Geigen, Blechbläsern und Pauken hat man bei Studio Shuka darauf geachtet, zu der Zeit passende Instrumente zu wählen. Erwartet also mediterrane Klänge und schaurige Stummfilmmusik. Außerhalb davon droht der Soundtrack größtenteils unterzugehen. Die Vorlagen, die das Drehbuch dem Akustischen zuspielt, nutzt 91 Days aber definitiv. Im Theater spielt man passend zum Selbstmordkommando hinter den Kulissen ein Stück, was an den Ritt der Walküre erinnert und zum massenhaften Abschlachten spielen die Geigen eine Tragödie, die alle anderen Töne verstummen lässt. Gleichzeitig tritt der Anime aber auch in die Fettnäpfchen, die ein anderer Punkt mit sich bringen. So wirken die Synchronsprecher wie schon die Charaktere sehr einseitig. Ganz peinlich wird es, als auf einer Hochzeit Mariachi-Töne erklingen und die unbeschwerte Stimmung augenblicklich ins Fremdschämen kippt. Kein großes Kino, definitiv herausragend sind da die Soundeffekte, die ungewöhnlich metaphorische Töne anstimmen: ein wutvolles Schnauben, knatschende Ventilatoren, der berüchtigte Sprung in der Platte oder Knochen, die wie Äste knacken – um mal ein paar zu nennen. Ending Rain or Shine passt mit dem Flair eines Varieté-Lokals genau in dieses Bild, während Opening Signal von TK from Long Tosite Sigure etwas weniger passend mit hoher männlicher Gesangsstimme, leichten Screams, ruhigen Strophen und einem kräftigen Refrain ganz andere Töne anschlägt.

Fazit

Handlung: Charaktere: Animation: Sound: Gesamt:
8 / 10 6 / 10 7 / 10 7 / 10 72 / 100

91 Days geht mit dem sehr westlichen Setting ein Wagnis ein und punktet damit gerade bei Action-Fans, die mit den alten Mafia-Schinken bislang nicht so wirklich warm wurden. Von der vielen Nachforschungsarbeit und dem angenehmen Tempo profitieren dabei Atmosphäre und der rote Faden gleichermaßen. Auch wenn sich die OST die meiste Zeit zurückhält, beweisen die Soundeffekte metaphorische Tiefe und auch die Animationen sind abgesehen von kleineren Durststrecken kein Reinfall. Stilistisch fragwürdig trägt viel jedoch dazu bei, dass die Charaktere oftmals zu eindimensional wegkommen.

Plus Minus
  • authentisches Mafia-Drama
  • auffällig anschauliche Soundeffekte
  • an vielen Stellen zu dezent
  • sehr eindimensionale Charaktere

Ähnlich: Baccano! (Anime) + Gungrave (Anime)

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