Anime-Review: Gleipnir – Steig in mich hinein, Clair!

Gleipnir - Cover
Titel: Gleipnir
Genre: Action, Ecchi
Studio: Pine Jam
Release: 2020
Episoden: 13 à 24 Minuten
Publisher: Wakanim
Preis: im Abo

Über die letzten Jahre hat sich das Ecchi-Genre, wenn man es denn wirklich als solches bezeichnen möchte, deutlich geändert. Mit Feminismus, würde ich sagen, hat diese Entwicklung aber nichts zu tun. Denn die Serien, die sich zu 100 Prozent auf nackte Haut verlassen, sind um einiges extremer geworden. Ich meine, so etwas wie »Interspecies Reviewers« ist mehr als nur an der Grenze zu Hentai, bei »Peter Grill and the Philosopher’s Time« geht es auch nur darum, dass die weiblichen Figuren auf den Schweif des Protagonisten springen wollen und bei »Super HxEros« müssen die Hauptfiguren ihre erotischen Kräfte entfesseln, um gegen Libido-verschlingende Monster anzukämpfen.

Dafür sind Ecchi-Elemente in allen anderen Arten von Anime deutlich seltener geworden. Wenn ich Anime-Datenbanken wie MyAnimeList durchforsche, fällt mir auf, dass heutzutage deutlich weniger Anime dem Ecchi-Genre auf der Webseite zugeordnet werden als noch vor 10 Jahren, wo Pantyshots in Anime weitaus häufiger an der Tagesordnung waren. Allgemein würde ich das eigentlich als positive Entwicklung bezeichnen. Anime bekommen so weniger „harmlosen“ Fanservice reingezwungen, was sicher auch das Schauen für Frauen angenehmer gestaltet. Gleichzeitig bekommen die Leute, die ihre Banane schälen wollen, sich aber nicht an Hentai trauen, Titel, die durchaus extremer sind als zuvor, ohne halt gleich so seltsame „Geschichten“ zu erzählen wie Hentai. Und dann kommt da »Gleipnir« an und hat diese Entwicklung irgendwie verschlafen. Pantyshots, die Kamera bei Reverse-Shots fleißig auf weibliche Hintern gerichtet, die Brüste oft entblößt, ohne sich zu trauen, die Nippel zu zeigen. Ist »Gleipnir« also einfach nur ein Anime, der im Jahr 2010 festgehangen ist? Finden wir es heraus!

(Zusammenfassung)

Shuichi Kagaya ist so unauffällig, wie ein Oberschüler nur sein kann. Was aber keiner weiß: Er kann sich in ein Monster verwandeln – in einen großen Plüschhund mitsamt der Möglichkeit, den Reißverschluss am Rücken zu öffnen. Er hat keine Ahnung, wieso er diese Fähigkeit hat.

Bei einem nächtlichen Spaziergang fällt ihm ein Feuer in der Ferne auf. Eine Scheune brennt und darin liegt ein bewusstloses Mädchen namens Clair Aoki. Mithilfe seiner Fähigkeit rettet Shuichi sie, verliert dabei jedoch sein Handy, wodurch Clair letzten Endes weiß, wer ihr Retter ist. Clair droht, Shuichis Geheimnis zu erzählen, sollte er ihr nicht dabei helfen, ihre Schwester zu finden, die sich in ein Monster verwandelte und ihre Eltern umbrachte. Shuichi willigt ein.

Auf ihrer Suche hält Clair Shuichi buchstäblich fest im Griff. Shunichis Monsterform erlaubt es ihr nämlich, ihn von innen heraus zu lenken. Schon bald darauf finden beide heraus, dass ein Alien auf die Erde gestürzt ist und den Menschen Wünsche erfüllt, wenn sie ihm eine seiner Münzen bringen, was dazu führt, dass sich in der Gegend immer mehr Individuen in Monster verwandeln und eine Art tödlichen Wettkampf um die Münzsuche austragen.

eigene Beschreibung

Handlung & Charaktere

Ich muss zugeben, dass ich mit sehr geringen Erwartungen an diese Serie herangegangen bin, denn auf den ersten Blick sieht sie nach einer eher typischen Serie aus, die brutale Gewalt für Schockmomente ausschlachtet – so wie ein »Mirai Nikki« zum Beispiel. Überraschenderweise hat »Gleipnir« jedoch interessante Konzepte und Figuren zu bieten. So gefällt mir zum Beispiel wie die Figuren am Anfang der Serie noch ihre Fähigkeiten erforschen. Das betrifft nicht nur unsere beiden Protagonisten, nein, auch die ersten paar Gegner sind noch dabei, herauszufinden, was genau sie können, indes spätere Begegnungen mit Feinden diesen Aspekt eher fallen lassen – immerhin beherrschen zu diesem Zeitpunkt in der Story auch die Gegner ihre Fähigkeiten schon länger. Auch die Abwechslung in den Fähigkeiten und wie sie durchdacht sind, ist durchaus clever: Menschen, die mit vagen Vorstellungen zu dem Alien gehen, bekommen eventuell nicht ganz die Fähigkeit, an die sie gedacht haben. Gleichzeitig hat jemand wie Sayaka Koyanagi, die Anführerin einer Gruppe, zu denen unsere Hauptfiguren später hinzustoßen, eine äußerst spezifische Fähigkeit, die sie aufgrund eines sehr spezifischen Wunsches erhielt, der sich gleichzeitig auf ihre tragische Hintergrundgeschichte bezieht. Die Fähigkeit von Shuichi hat in der Hinsicht auch noch weitere interessante Implikationen, da mit ihr ein gewisses Metanarrativ kommt:

Protagonisten dieser Art Anime sind oft als Hausschuhe gedacht, in die der Zuschauer schlüpfen kann – sie sind meist die uninteressanteste Figur, da alle Nebenfiguren weitaus tiefgründiger sind. So finde ich es spannend, dass es seine Fähigkeit zulässt, dass jemand anderes in ihn schlüpft und effektiv die Kontrolle über ihn übernimmt, wodurch er anfangs mehr als Ventil für Clair fungiert. Was der Anime erwähnt, aber nicht weiter erkundet, ist, dass Clairs und Shuichis Verbindung im Laufe der Zeit schwächer wird, da Shuichi anfängt, sich zu verändern. Je mehr Shuichi einen Charakter bekommt, desto schwächer wird seine Verbindung zu der kaltherzigen Clair, die psychopathische Züge aufweist. Es wirkt fast schon wie eine direkte Kritik auf »Mirai Nikki«. Zeitgleich muss ich sagen, dass ich die finalen Twists rund um Shuichi echt gelungen finde. Dinge, die schon längst geklärt wirkten, werden noch mal in ein völlig anderes Licht gerückt und auch narrative Konventionen, wie dass man Shuichis Familie nie zu Gesicht bekommt, werden clever ausgenutzt.

Die Figuren an sich, rein charakterlich, sind dabei gar nicht mal so gut. Viele werden relativ oberflächlich behandelt – dafür hat die Serie auch einfach einen zu großen Cast und mit 13 Episoden eben nicht genug Zeit, auf alle genügend einzugehen. Besonders die tragische Rolle von Clairs Schwester hätte ich zu gerne noch weiter erforscht gesehen und auch über Chihiro Yoshioka, ein Mädchen aus der Münzsammler-Gruppe unserer Protagonisten, hätte ich gerne mehr gewusst, da ich ihre Position zwischen den Fronten eigentlich interessant fand. Selbst Shuichis Entwicklung über die Serie ist nicht die Besonderste: Ein Loser, der zum kaltblütigen Killer wird, ist mittlerweile ein bekanntes Klischee. Nur Clair weist Spuren interessanter Charakterentwicklung auf. So ist sie doch um einiges liebenswerter, als man am Anfang vielleicht noch denken mag, wo sie unseren Protagonisten erpresst und mit Leichtigkeit ein anderes Monster umbringt. Gerade ihre Beziehung mit Shuichi finde ich sogar recht gut, da sie mit der Zeit beginnt, seine humaneren Einstellungen zu übernehmen, was sogar später dafür sorgt, dass sie sich unwohl dabei fühlt, Leute umzubringen, während Shuichi mehr und mehr versucht, an ihrer Stärke etwas zu entgegnen. Wir haben in dieser trashig und edgy erscheinenden Serie doch tatsächlich ein gutes Beispiel für eine gesunde Beziehung. Ja, ich hätte es auch nicht gedacht.

Doch auch wenn die Serie mehrere starke weibliche Figuren präsentiert, zeigt sie sich definitiv nicht feministisch. Ja, wir kommen nicht drum herum über den Fanservice zu sprechen. Es gibt keine charmante Art Fanservice zu präsentieren. Wie man es dreht und wendet, es bleibt sexistisch. Die weibliche Figur wird in jedem Fall auf ihre Geschlechtsmerkmale und Unterwäsche reduziert. Wobei Kontext selbstredend eine wichtige Rolle spielt: »Lupin The Third: The Woman Called Fujiko Mine« schafft es zum Beispiel, eine Menge nackte Haut erotisch zu präsentieren, ohne dabei sexistisch zu sein, da diese Handlungen von der starken Protagonistin Fujiko Mine ausgehen, die ihre weiblichen Reize als Waffe gegen Männer nutzt. »Gleipnir« selbst ist eher eine bunte Mischung, was das angeht. Während jemand wie Clair sich ziemlich bewusst nackt präsentiert, ist Chihiro eher unschuldig. Es würde kaum zu ihrem Charakter passen, wenn sie sich komplett auszieht, um in Shuichi zu steigen. Das tun übrigens die weiblichen Figuren, weil es so warm in ihm ist, aber wir wissen alle, dass der Autor nur eine Ausrede brauchte, um die Mädchen auszuziehen. Der größte Teil des Fanservice in der Show ist jedoch recht harmlos, eher pubertär und dämlich.

Ich empfand es in den meisten Situation nicht als störend, aber es gibt eine Ausnahme, über die ich reden möchte: Sayaka, besagte Anführerin der Gruppe, der unsere Hauptfiguren beitreten, ist lesbisch. Mit ihrer Fähigkeit kann sie Menschen dazu zwingen, Geheimnisse für sich zu behalten, da sie sonst getötet werden. Sie lässt nur Leute in ihre Gruppe, den sie diesen Fluch auferlegt hat. Als Clair sich entschließt, dem Ritual beizuwohnen, gehen sie und Sayaka in ein Hinterzimmer. Sayaka fängt an sich auszuziehen, bringt Clair dazu sich auf ein Bett zu legen und legt sich über sie. Clair meint, »Wir kennen uns doch noch kaum. Sollten wir das wirklich tun?«, worauf Sayaka wieder von ihr heruntersteigt. Danach beginnt sie das eigentliche Ritual. Der Gag ist ehrlich gesagt schon ein bisschen witzig und ich finde es in diesem speziellen Fall gar nicht mal so schlimm, dass man ihre Sexualität sofort mit Sex in Verbindung bringt, da »Gleipnir« sowieso die ganze Zeit recht sexualisiert ist. Auch wird Sayaka im Laufe des Anime nicht nur darauf beschränkt, lesbisch zu sein. Die Szene ist nur leider nicht, worauf ich hinaus wollte. Die Gruppe trifft später auf ein Reihe sehr starker Gegner. Unter ihnen ein Typ, der auch recht viele Arme in seiner Monsterform besitzt. Diese nutzt er, um Sayaka zu greifen und überall an ihr rumzufummeln. Nicht nur ist das Klischee des großen Tentakelviechs verbraucht, ich empfinde es als unfassbar problematisch, dass eine sehr wahrscheinlich heterosexuelle Figur eine lesbische Figur sexuell belästigt und ihr damit seine Sexualität aufzwingt. Das hätte einfach nicht sein müssen. Das ist geschmacklos!

Animation

Studio Pine Jam ist in meinen Augen ein recht sympathisches, kleines Studio. Ihre Webseite ziert sogar das Rezept für ebenjene Pine Jam. Dementsprechend war ich froh, nach drei Jahren endlich einen neuen Anime von ihnen zu sehen. So eine große Spanne zwischen den Projekten erscheint euch seltsam? In der Vergangenheit hatte Pine Jam einiges an Problemen bei ihren Produktionen. In 2017 haben sie zum ersten Mal die Rolle des Leitstudios bei zwei Vollzeit-Anime übernommen: »Gamers!« und »Just Because!«. Bei »Gamers!« wurden einmal zwei Episoden außer Reihenfolge ausgestrahlt, weil die Episode, die vorher erscheinen sollte, noch nicht fertig war. Das direkt darauffolgende »Just Because!« traf es jedoch weitaus schlimmer. Die Animationsqualität der Serie schwankte von Minute zu Minute, nein, eher sogar von Cut zu Cut. Das lag daran, dass der Regisseur jede einzelne Zeichnung absegnen wollte, da er das Character Acting für die Serie als besonders wichtig empfand. Character Acting beschreibt, wenn eine gezeichnete Figur Emotionen ausdrückt wie ein Schauspieler – also weitaus nuanciertere Bewegungen und Mimiken dargestellt werden. Diese Herangehensweise ist jedoch, besonders für ein weniger erfahrenes, kleines Studio, so gut wie unmöglich zu handhaben. Nach »Just Because!« verschwand das Studio für eine Zeit lang von der Bildfläche. Nun waren sie im April 2020 mit »Gleipnir« wieder im TV unterwegs, ohne vorher ihr Team zweiteilen zu müssen, um gleich zwei Vollzeit-Anime zu produzieren. Mit der ganzen Vorgeschichte aus dem Weg: Wie gut sieht Gleipnir nun aus?

Relativ gut, würde ich jetzt mal sagen. Das Character Acting ist hier nicht unbedingt besonders herausstechend, aber konsistent gut. Dafür sind die Charakterdesigns, besonders bei den Haaren, relativ komplex für so eine TV-Produktion. Diese stammen von Takahiro Kishida. Er ist schon seit Anfang der 90er als Key-Animator unterwegs und auch die Charakterdesigns bei »Haikyu!!«, »Serial Experiments Lain«, »Durarara!!« und »Baccano!« gehen auf sein Konto. Man darf nicht vergessen, dass umso komplexer ein Design ist, desto aufwendiger ist es, es zu animieren. Daher finde ich die Animationsqualität für die Komplexität der Designs eigentlich ganz angemessen. Bei Kämpfen aber dreht »Gleipnir« ordentlich auf. Zwar gibt es davon nur eine Handvoll, da die Serie sich besonders aufs Taktieren konzentriert, aber wenn es mal zur Sache geht, kommen fette Smears kombiniert mit guter Kampfchoreografie an den Start. Insgesamt ist die Serie optisch wirklich gut, nur hat es auch hier nicht so ganz funktioniert mit der Konsistenz – zumindest gegen Ende. Szenen aus dem Manga werden ausgelassen oder anders angeordnet, was für recht verwirrende Momente sorgen kann – vor allem, wenn mehrere Figuren einfach off-screen sterben.

Sound

Der Soundtrack der Serie stammt von Ryōhei Sataka, der bereits seit 2009 an vielen Anime-Soundtrack mitgewirkt hat, aber erst 2018 bei »Release the Spyce« zum ersten Mal die Rolle des Lead-Composers annahm. »Gleipnir« ist sein zweites Mal im Zentrum der Aufmerksamkeit und was er diesmal ablieferte, ist definitiv etwas Anime-unüblich. EDM ist kein weitverbreitetes Genre in Anime. Spontan fallen mir nur die wundervolle Musik in »Tonkatsu DJ Agetarō«, Teddyloids Soundtrack zu »Panty & Stocking with Garterbelt« und »Space Patrol Luluco« ein. Dementsprechend bin ich von den nicen Beats, die es in »Gleipnir« zu hören gibt, positiv überrascht – vor allem, weil in Kampfszenen ein Badass-Gefühl vermitteln. Große Ohrwürmer sind jedoch nicht dabei. Die Musik geht einmal ins Ohr, klingt ganz cool, verliert sich danach aber wieder sofort, weil sie nicht sonderlich tief mit der Geschichte verwoben ist … und beim Voice Acting kann ich mich jetzt auch nicht an besondere Highlights erinnern. Negativ fiel es mir aber auch nicht auf.

Fazit

Handlung: Charaktere: Animation: Sound: Gesamt:
7 / 10 7 / 10 7 / 10 7 / 10 70 / 100

»Gleipnir« mag auf den ersten Blick wie ein edgy und auch Ecchi-Anime aus Anfang der 2010er wirken, der versucht von so etwas wie »Mirai Nikki« abzugucken. Doch zum Glück ist er zumindest mehr als das. Die Serie besticht mit einer interessanten Bindung zwischen den Hauptfiguren und einer Menge spannenden Ideen, die leider durch dumme Pantyshots untergehen und dadurch, dass die Serie schlichtweg seine Zeit nicht gut genug nutzt. Abraten würde ich von »Gleipnir« nicht – gerade wenn man auf Action steht. Schauen muss man ihn aber auch nicht unbedingt.

Plus Minus
  • interessante Figurendynamiken & Ideen
  • hohes Maß an Konsistenz, trotz komplexer Charakterdesigns
  • wenig tiefgründige Figuren mit geringer Entwicklung
  • seltener, aber schnell verblassender EDM-Soundtrack

Ähnlich: Mirai Nikki, Darwin’s Game

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