Animefilm-Review: Ghost in the Shell – Hält der Klassiker, was er verspricht?

Ghost in the Shell - Cover
Titel: Ghost in the Shell
Genre: Action, Science-Fiction, Mystery
Studio: Production I.G.
Release: 18.11.1995
20.04.2023 (4K-Edition)
Episoden: 82 Minuten
Publisher: KSM Anime
Preis: 99,99 Euro (4K-Edition)

Mamoru Oshiis Science-Fiction-Film »Ghost in the Shell« zählt auch außerhalb der Anime-Bubble als einer der einflussreichsten Werke des Genres. Die Handlung bringt Themen wie die Schwelle zum Bewusstsein, die technische Manipulation von Erinnerungen und die Frage, wie viel man an einem Menschen ersetzen kann, bis die Menschlichkeit verloren geht, ins Gespräch. Nicht zuletzt deswegen wird »Ghost in the Shell« häufig noch in einem Atemzug mit »Blade Runner« als Begründer des Cyberpunk-Genres genannt.
Für den Erfolg spricht auch die Fortsetzung, die Serien-Auskopplung mit eigenen Filmen und die Hollywood-Adaption, die vor ein paar Jahren in die Kinos kam.
Fast dreißig Jahre später bekommen wir nun eine 4K-Collector’s-Edition und damit einen Grund uns diesen Klassiker noch mal anzuschauen, um herauszufinden, ob er seinem Ruf gerecht wird oder ob es sich nur noch um Altmetall handelt.

(Zusammenfassung)

Im Jahre 2029 ist es normal, sich einzelne Körperteile durch künstliche Komponenten ersetzen zu lassen. Diese Bestandteile befähigen die Menschheit, nahezu alle Grenzen des Fleisches und des Geistes zu überwinden. Einige Menschen besitzen gar nur noch eine Biokapsel als Körper, genannt »Shell«, und lediglich ein Rest an ursprünglichen Gehirnzellen definieren den »Ghost«, der Identität und Persönlichkeit eines Individuums erhält. Dies macht die Bedrohung durch einen Computer-Hacker namens »Puppenspieler« umso akuter, da er in der Lage ist, die Firewalls der »Ghosts« zu überwinden und sie nach seinen Vorstellungen zu verändern. Majorin Motoko Kusanagi vom japanischen Geheimdienst Sektion 9 ist ebenfalls betroffen und macht sich auf die Jagd nach dem Cyber-Verbrecher.

KSM Anime

 

Handlung

Mit nur 82 Minuten ist »Ghost in the Shell« vergleichsweise kurz. Außerdem nimmt sich der Film viel Zeit, mit Stimmungsbildern eine dichte Atmosphäre zu kreieren. Das lässt nicht wirklich viel Zeit für lange Erklärungen. So wird man direkt in die Action geworfen und lernt Sektion 9 direkt im Einsatz kennen. Das heißt auf der einen Seite, dass es keine Szenen gibt, die irrelevant sind oder die Geschichte und ihre Kernthematiken nicht vorantreiben, aber auf der anderen Seite, dass man aufmerksam zuschauen muss. Generell hat der Film dadurch ein gutes Tempo, bei dem sich die zuvor erwähnten atmosphärischen Darstellungen der Welt mit der Jagd nach dem »Puppenspieler« abwechseln. Der Abhandlung der philosophischen Fragen, die das Setting aufwirft, wird ebenfalls etwas Platz eingeräumt.
Schon in den ersten paar Szenen sieht man diese Abwechslung gut. Kurz nachdem wir den ersten Einsatz der Sektion 9 sehen, auf den ich später noch etwas eingehe, finden wir uns im Apartment von Major Kusanagi wieder. Wir sehen, wie sie aufwacht und wie sich das Fenster öffnet und den Blick auf die futuristische, an Hong Kong angelehnte Stadt freigibt. Unsere Protagonistin verlässt das Bild, aber die Perspektive wird gehalten und wir können einen guten Eindruck davon gewinnen, wie die Stadt außerhalb dieses Raums funktioniert und wie es sein muss, in so einer Welt zu leben. Außerdem zeigt uns der leere, kalte Raum mit einem einzelnen Bett, wie die Majorin lebt und damit auch einiges über ihren Charakter. Danach folgen wir ihr in die Zentrale der Sektion 9. Dort befindet sich ein weiteres Opfer des Puppenspielers und wir bekommen ein wenig mehr Hintergründe zu der Jagd auf ihn und zu seinen Methoden. So werden wir auch in eines der philosophischen Themen eingeführt. Denn der Puppenspieler manipuliert die Erinnerungen und damit auch die Persönlichkeit seiner Opfer, damit sie ihm zuarbeiten. Die Ethik und Bedeutung dessen wird im Laufe des Films immer wieder diskutiert.
Die Handlung hält auch ein paar Wendungen bereit, besonders wenn es um die Verstrickungen und Hintergründe zum Kriminalfall geht. Diese werden aber recht abrupt aufgedeckt und wir haben keine Beziehung zu den Strippenziehern, was die Enthüllung etwas dürftig ausfallen lässt. Da das nur das Vehikel für den restlichen Plot darstellt, fällt das nicht so ins Gewicht und ist tatsächlich sogar noch ein nettes Extra.

 

Charaktere

Im Zentrum der Handlung stehen Motoko Kusanagi und der Gegenspieler beziehungsweise ihr Spiegelbild, das sie in dem Puppenspieler gefunden hat. Für Major Kusanagi stellt sich die Frage, ob sie mit ihrem Cyborg-Körper, der nur noch einen kleinen Teil ihres ursprünglich menschlichen Körpers beheimatet, überhaupt noch ein Mensch ist. Um sich das zu beweisen, taucht sie. Dieses Hobby ist gefährlich für Cyborgs, aber für Menschen kein Problem. Das wird auch von ihrem langjährigen Kollegen und Vertrauten Batō angemerkt, aus dessen Sicht wir viele ihrer Standpunkte kennenlernen, da sie sonst eher verschlossen ist. Daneben ist Togusa ein interessanter Gegenpol zu ihr. Der Neuzugang zu Sektion 9 hat eine Familie, ist kaum technisch augmentiert und auch sonst sehr traditionell. So nutzt er zum Beispiel einen Revolver.
Das Pendant zur Majorin, der Puppenspieler, hingegen ist ein Programm, das einen Ghost entwickelt hat, also eine Seele, was die Frage aufwirft, was überhaupt noch »menschlich« ist und welche Bedeutung die menschliche Existenz hat. Allerdings wird diese Tatsache erst enthüllt, nachdem wir die Dynamiken der Charaktere im letzten Abschnitt schon etwas untersucht haben. Das bringt eine neue Dynamik ins Spiel und erhöht die Tiefe der Beziehungen und der Konzepte, die wir bereits gesehen haben. Insgesamt wird ein Großteil der tieferen Themen durch die Interaktion zwischen den Charakteren erzählt.
Selbst die Nebencharaktere werden gut eingeführt und verwendet. So lernen wir über eine ausgedehnte Szene zwei Müllmänner kennen. Einer zynisch und unzufrieden, der andere fröhlich und aufgekratzt. Letzterer spricht von seiner Frau und seiner Tochter in der Hoffnung, sein Familienleben demnächst wieder in Ordnung zu bringen. Die beiden werden realistisch gezeichnet und man kann sich vorstellen, diese beiden in der echten Welt zu treffen. Umso schwerwiegender ist dann die Offenbarung, dass die Erinnerung an die Familie, die dem zweiten Müllmann so wichtig war, gar nicht existiert. Es sind falsche Erinnerungen, die ihn dazu bringen sollen, Botengänge für den Puppenspieler zu übernehmen. Sie sind nicht mehr zu entfernen und jetzt muss dieser Mann mit fröhlichen Erinnerungen an eine Familie leben, die nicht existiert. Außerdem verdeutlicht diese Episode, dass die Themen, die der Film anspricht, nicht nur Spezialeinheiten und Spionage-Viren betreffen, sondern auch die Allgemeinheit.

 

Animation

Die Animation in »Ghost in the Shell« ist konstant auf einem guten Niveau. Allerdings sollte man sowohl die Stimmungsszenen als auch die Kampf- und Einsatz-Choreographien noch einmal besonders hervorheben.
Im Kontext der Handlung habe ich ja bereits über die Stimmungsszene am Anfang des Films gesprochen. Allerdings gibt es später im Film noch mal eine deutlich Eindrucksvollere. Es fängt an zu regnen. Selbst in der futuristischen Stadt suchen Kinder noch unter Regenschirmen Schutz und der Regen läuft tropfenweise an den Glasfronten der riesigen Gebäude herunter. Um das Boot, auf dem Motoko steht, ziehen die Tropfen Kreise um den Punkt, an dem sie die Wasseroberfläche treffen. Diese Szene finde ich besonders eindrucksvoll, weil sie zeigt, dass selbst in dieser befremdlichen Zukunft immer noch viele menschliche Erfahrungen gleich geblieben sind. Es gibt noch viele dieser Szenen, die fast schon wie Dioramen der Cyberpunk-Welt wirken. Solche atmosphärischen Momente sehen wir selten in diesem Umfang und dieser Dichte animiert.

Zwei der bekanntesten Szenen aus »Ghost in the Shell« sind der erste Einsatz gleich zu Beginn des Films und der Kampf zwischen der Majorin mit einem flüchtigen Verdächtigen in einem seichten Flussbett. Beide haben eines gemeinsam: Mokoto nutzt eine optische Tarnung, sprich sie ist nicht zu sehen. Beide Szenen führen diese Technologie in anderer Art vor und beide vermitteln dem Zuschauer ein gutes Gefühl dafür, was gerade passiert, in einer Art, wie es nur Animation tun kann. Im Intro nutzt Motoko die Tarnung, um fast schon chirurgisch einen gefahrlosen Zugriff der Polizei zu ermöglichen. Nur die Wucht der einschlagenden Schüsse gibt uns eine Idee davon, was passiert. Ganz anders als in der nächsten Situation. Der Flüchtige hinterlässt haufenweise Spuren und da der Kampf am Ende der Verfolgung in einem Flussbett am helllichten Tag stattfindet, können selbst wir Zuschauer durch die Reaktion des Wassers und seinen Schatten nachvollziehen, wie der Kampf sich abspielt.

 

Sound

Man würde meinen, der Soundtrack mit seinem altjapanischen Chor und den Trommeln sowie seinen diversen Holzinstrumenten würde nicht zu einem Science-Fiction-Film passen, aber genau dieser Kontrast zwischen eher traditionellen Instrumenten und der Cyberpunk-Welt verleiht dem Film eine einzigartige Identität. Letztendlich steht dieser Kontrast ja auch im Zentrum des Films. Ob es der Rest an Menschlichkeit im Cyborg-Körper der Majorin ist, Togusas Weigern, seinen traditionellen Revolver gegen eine moderne Waffe zu tauschen, oder die Kluft zwischen echten und falschen Erinnerungen. Es geht immer um etwas Natürliches, Traditionelles oder Klassisches, das im Kontrast mit Unnatürlichem, Künstlichem oder Modernem steht. Wie eben die klassische musikalische Untermalung gegenüber den hochtechnologischen Dingen, die wir auf dem Bildschirm sehen. Ein bassiger Synth-Soundtrack hätte diese Schere zwischen Audio und Video nicht erzeugen können und wäre wohl auch nicht so im Gedächtnis geblieben.
Die Soundeffekte hinterlassen leider keinen besonderen Eindruck. Vielleicht hat ein so fundamentaler Film wie »Ghost in the Shell« die Entwicklung des Sounddesigns allerdings so sehr beeinflusst, dass Besonderheiten nicht mehr so auffällig sind, da einfach seitdem Filme mit ähnlichen Settings nun mal so klingen. Daher möchte ich das erwähnen, aber nicht wirklich in meiner Kritik berücksichtigen.

 

Fazit

Handlung: Charaktere: Animation: Sound: Gesamt:
8 / 10 9 / 10 8 / 10 8 / 10 84 / 100

»Ghost in the Shell« ist ein Film mit genau aufeinander abgestimmten Szenen. Alle Aspekte greifen ineinander wie ein Uhrwerk. Besonders mit einem Blick darauf, wie die Kernthematiken des Films behandelt werden und wie aufwendig die Welt dargestellt wird, wundert es kaum das viele Kreative dieses Werk als Sprungbrett für ihre eigene Arbeit verwendet haben und den Film somit zu einem der einflussreichsten im Science-Fiction-Genre gemacht haben, der sich im Anime-Bereich mit anderen Größen wie »Akira« messen kann.

Mein persönliches Highlight ist das World Building. Neben den stimmungsvollen Szenen, die uns immer wieder neue Aspekte der Welt vorstellen, sind es besonders die retro-futuristischen Aspekte wie Münzterminals, die es mir angetan haben. Aber dafür habe ich auch eine besondere Schwäche.
Es bleibt zu sagen, dass »Ghost in the Shell« ein Pflichttitel für Film-, Anime- und Sci-Fi-Fans ist.

Plus Minus
  • gut aufeinander abgestimmtes Gesamtpaket
  • Genre-definierendes World Building
  • tiefgründige Figuren und Handlung
  • kurze Laufzeit

Ähnlich: Serial Experiments Lain, Akira, Ergo Proxy

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