Angezockt – »Pokémon Karmesin & Purpur« – Hat man in Paldea von den Arceus-Legenden gelernt?

Wenn Anime-Fans nicht Anime schauen oder Manga lesen, tun sie was? Richtig, vermutlich zocken und darum geht es hier: Wir schnappen uns ein aktuelles Game und schreiben unsere Gedanken dazu nieder, um am Ende die Frage beantworten zu können, ob sich ein Kauf denn jetzt lohnt.

Pokemon Karmesin Cover
Titel: Pokémon Karmesin & Purpur
Genre: Rollenspiel
Publisher: Nintendo, The Pokémon Company
Entwickler: Game Freak inc.
Release: 18. November 2022
USK: Ab 6 Jahren
UVP: 69,99 Euro

Ein neues Jahr, zwei neue Pokémon-Editionen – so ungefähr lautet die Faustregel, zumindest wenn man die Zwischenversionen und Remakes vergangener Teile mitzählt. Pokémon-Fans haben seit Start der Reihe regelmäßig neuen Content zum Erkunden. Dass die Welt noch nicht genug von Pokémon hat, zeigen mehrere begeisternde Spin-offs wie beispielsweise das im letzten Jahr erschienene »New Pokémon Snap«, diverse Smartphone-Spiele, der anhaltende Hype um das Trading Card Game oder einfach die Tatsache, dass »Pokémon Karmesin & Purpur« nicht nur das am schnellsten verkaufte Nintendo-Spiel aller Zeiten ist, sondern auch der erfolgreichste Launch eines Exklusivtitels auf Konsolen überhaupt. Und das wohlgemerkt trotz anhaltender Kritik an der Hauptreihe in Bezug auf das Fehlen von innovativen Ideen in den Bereichen Gameplay und Storytelling sowie teilweise haarsträubender technischer Probleme. Wir finden das vor allem auch deswegen beeindruckend, weil mit »Pokémon-Legenden: Arceus« erst Anfang des Jahres ein relativ großes Pokémon-Spiel veröffentlicht wurde, das hohes Lob für seine innovativen Ideen erhalten hat. Die Frage ist jetzt eigentlich nur noch: Was hat die Hauptreihe daraus gelernt?

 

Der Elefant im Raum: die Technik

Karmesin1Da im Allgemeinen zu den technischen Problemen des Spiels schon genug gesagt wurde, reißen wir das Thema nur kurz an. Wer sich für einen Technik-Deep-Dive interessiert und der englischen Sprache mächtig ist, dem legen wir das YouTube-Review von Digital Foundry ans Herz. Wer es aber kurz und knackig hören möchte: Ja, das Spiel läuft nicht optimal. Insbesondere wenn man es mit ähnlich aktuellen Exklusiv-Titeln wie »Xenoblade Chronicles 3« vergleicht, muss man sich fragen, wie Game Freak es geschafft hat, die Switch so sehr in die Knie zu zwingen. Darüber hinaus scheint es Performance-Unterschiede zwischen den Editionen zu geben. Weil wir aber nur die Karmesin-Edition vorliegen haben, können wir zu diesem Punkt nichts weiter sagen. Eins wollen wir jedoch klarstellen: Auch wenn ein großer Teil der Technik-Kritik absolut berechtigt ist, waren wir insgesamt positiv überrascht. Denn während unseres gesamten Playthroughs gab es nur wenige Probleme, die den Spielspaß ernsthaft gefährdeten, dafür machen die frischen Ideen, Open World sowie das grundsätzliche Spielprinzip einfach zu viel Spaß. Nach all der negativen Berichterstattung hatten wir Schlimmeres erwartet, aber »Pokémon Karmesin & Purpur« lief flüssig – sogar im Handheld-Modus.

 

Worum dreht sich »Pokémon Karmesin & Purpur«?

karmesin2Die Hauptgeschichte von »Pokémon Karmesin & Purpur« ist schnell erzählt, denn hier bleibt sich die Reihe treu. Nach der Charaktererstellung wacht der oder die Protagonist*in wie gewohnt in einem Kinderzimmer auf. Es soll der erste Schultag an der Pokémon-Akademie sein, doch aufgrund eines Problems bei der Einschreibung scheint die Bildung unseres Charakters in Gefahr. Zum Glück kommt der Direktor der Akademie höchstpersönlich vorbei, um das Problem zu lösen. Im Rahmen dessen stellt er uns seine Tochter Nemila vor, die zugleich Schulsprecherin ist, und lässt uns ein Starter-Pokémon auswählen. Dabei haben wir die Wahl zwischen den drei Elementen Feuer, Wasser und Pflanze. Kaum ist die Wahl getroffen, können wir uns ins Abenteu… Nein, Pardon, können wir zur Schule gehen. Soweit so klassisch Pokémon. Auf dem kurzen Weg zur Akademie durch das Tutorial-Gebiet treffen wir im Anschluss nicht nur auf das jeweilige legendäre Pokémon unserer Edition – unserem neuen fahrbaren Untersatz –, sondern es werden auch Stück für Stück die Neuerungen deutlich. Bei der Schule angekommen, nimmt die Story dann in Form der alljährlichen akademischen Schatzsuche ordentlich Fahrt auf. Das ist einerseits toll, weil sich das Spiel und seine zahlreichen Möglichkeiten damit sehr schnell öffnen, aber auch ein wenig seltsam, weil zuerst die Akademie als großer Hub aufgebaut wird und man diese dann genauso schnell wieder hinter sich lässt: Gefühlt wird das Semester im selben Dialog beendet, mit dem es begann.

 

Open World & offene Story: Pokémon-Champ werden, Team Star schlagen oder das ultimative Sandwich zaubern?

karmesin3Eigentlich müsste man hier schreiben: die Storys. Denn »Pokémon Karmesin & Purpur« ist in drei verschiedene, unabhängige und frei verfolgbare Quest-Stränge aufgeteilt. Diese werden alle als gleichwertig behandelt, haben ihre eigenen Mechaniken und münden am Ende in einer für bisherige Pokémon-Spiele sehr ungewöhnlichen vierten Storyline. Der Aufhänger hierfür ist das Jahresabschluss-Projekt der Akademie, das den Schüler*innen erlaubt, ihre individuellen Interessen zu verfolgen, sich in der ringförmigen Welt von Paldea auszutoben und zu verwirklichen. Das Grundprinzip des Sammelns und Trainierens von Pokémon, um den Pokédex zu vervollständigen und Pokémon-Champion zu werden, bleibt natürlich erhalten. Und auch die Pokémon-Liga und die Top Vier gibt es weiterhin – sie stellen aber nicht mehr den üblichen Abschluss des Spiels dar, sondern sind nur eine der drei vorangestellten Herausforderungen, denen man sich als angehende*r Pokémon-Trainer*in stellen kann.

 

 Der Weg des Champs

karmesin4Um die Elite herauszufordern, muss man Arena-Orden sammeln. Daran ändert sich nichts. Neu ist allerdings, dass man pro Arena ein Minispiel bewältigen muss, um sich das Recht zu sichern, den oder die Arenaleiter*in herauszufordern. Die Qualität der Minispiele reicht von absolut schäbig bis ganz witzig, aber um ehrlich zu sein, haben wir uns gefragt, warum ausgerechnet diese alteingesessene Formel neu gedacht werden muss, wenn neben der Open World mit den anderen beiden Questreihen eigentlich schon genügend Raum für Neues geboten ist. Positiv hervorzuheben ist die Inszenierung der Arenaleiter*innen, ihre Kämpfe und die Belohnung in Form eines gemeinsamen Selfies, das man nach Erhalt des Ordens mit seinem Gegenüber macht.

 

Die Straße der Sterne

karmesin5Direkt bei Ankunft in der Akademie werden wir Zeuge, wie zwei Mitglieder von Team Star – eine augenscheinlich militant-rebellische Gruppe älterer Schüler – die ebenfalls neue Schülerin Camilla drangsalieren . Etwaige Parallelen zu den aus anderen Teilen und insbesondere dem Anime bekannten Team Rocket sind eklatant und so eröffnet sich alsbald die Aufgabe, die Gruppe von Mobbern in ihren über die ganze Welt verteilten Lagern zu jagen und auszumerzen. Dies geschieht in einem eigenen Modus, bei dem man innerhalb eines Zeitlimits mit drei Pokémon aus dem eigenen Team das jeweilige Lager räumen und in einem groß inszenierten Kampf gegen den Boss des Lagers bestehen muss. Die einzelnen Lager sind dabei thematisch den unterschiedlichen Elementen zugeordnet und können auch dank des zeitlichen Limits ziemlich knackig sein. Sie sind auf jeden Fall eine nette Abwechslung zu den üblichen Trainer-Kämpfen mit vollem Team.

 

Der Pfad der Legenden

karmesin6Die dritte Storyline hat uns mit Abstand am meisten Spaß gebracht. Arg verkürzt beschrieben, sammelt man hier gemeinsam mit einem umtriebigen und gut belesenen Mitschüler sogenannte Geheimgewürze. Diese sollen dem Mitschüler sein Forschungsvorhaben ermöglichen: ein legendäres Sandwich. Spannend ist dabei neben der Relevanz für die übergreifende Story vor allem die Suche nach besagten Zutaten selbst. Zunächst spürt man sogenannte Herrscher-Pokémon auf, die durch den Verzehr besonders groß und mächtig wurden. Die Herrscher-Pokémon sind natürlich grundsätzlich erst mal nicht sehr kooperativ und entsprechend müssen sie gestellt und dann besiegt werden. Die Präsentation der Begegnungen hat uns dabei sehr gefallen und dass man für ebenjene mit Sandwiches belohnt wird, die die Reitfähigkeiten des legendären Begleiters erweitern, gibt ihnen dabei besondere Gameplay-Relevanz.

 

Die große Freiheit und das große Nichts

»Pokémon Karmesin & Purpur« macht einiges richtig und wir hatten definitiv eine Menge Spaß mit dem neusten Wurf aus dem Hause Game Freak. Uns hat vor allem gefallen, wie radikal das Prinzip Open World für Pokémon umgesetzt wurde und vermutlich ist das auch eines der Erfolgsgeheimnisse für diese Generation. Oft genug haben sich Fans genau diesen Schritt gewünscht. Game Freak ging sogar noch einen Schritt weiter als nötig und lieferte drei Storylines, bei denen Spielende sich die Reihenfolge aussuchen dürfen. Der Mut, die gängigen Pokémon-Prinzipien anzupassen, ohne die Grundwerte der Pokémon-Formel zu vergessen, hat Lob verdient.

karmesin8Weil wir es bisher noch nicht erwähnt haben, wollen wir noch etwas loben: den Pokédex. Dieser gleicht in seiner Aufmachung einer Bibliothek und enthält wunderschöne Pokémon-Darstellungen. Für uns ist er mit Sicherheit einer der schönsten Pokédexe, die es bisher gab. Auch die Pokémon selbst machen im Vergleich zu »Pokémon-Legenden: Arceus« visuell noch einmal einen ordentlichen Sprung nach vorne. Umso verwunderlicher fanden wir es, dass das Spiel insgesamt grafisch und gestalterisch nicht mit seinem Spin-off-Vorgänger mithalten kann und ein konsistenter Art Style nicht zu erkennen war.

Weitere Probleme von »Pokémon Karmesin & Purpur« offenbaren sich neben der technischen Ebene vor allem im Game-Design selbst. So besitzt jedes Pokémon neben seinen eigentlichen Typen in dieser Generation noch einen stärkeren sogenannten Tera-Typ, der Pokémon-unabhängig individuell je nach Exemplar gesetzt ist. Mithilfe der Tera-Transformation wird ein Pokémon im Kampf kristallisiert und wechselt den Typ entsprechend seines Tera-Typs. Das kann sowohl offensiv wie defensiv ungewöhnliche Kombinationen hervorbringen, sofern das Pokémon auch die entsprechenden Attacken passend zum Tera-Typ gelernt hat. Das Thema Tera-Kristallisierung zieht sich auch durch das weitere Spielgeschehen, so trifft man beispielsweise in der Wildnis auf transformierte Pokémon, manche Trainer*innen und Arena-Leiter*innen setzen die Transformation im Kampf ein oder man kann sich wahlweise mit vier anderen Spielenden oder NPCs auf sogenannte Tera-Raids gegen ein besonders starkes Pokémon begeben. Insgesamt ist diese Mechanik aber leider nicht besonders spannend: Sie ist nur einmal zwischen zwei Besuchen des Pokémon-Centers anwendbar, gestalterisch sind die kristallinen Pokémon mindestens gewöhnungsbedürftig und eigentlich sind die Tera-Typen nur effektiv, wenn sie einen Standard-Typ verstärken.

karmesin9Und auch wenn wir den Open-World-Ansatz lieben, so kränkelt diese Pokémon-Generation an den typischen Problemen, die solche offenen Spiele eben haben: Die Welt ist groß, weit und vor allem leider sehr, sehr leer. Im Ansatz ist eine Menge vorhanden, ausgereift ist das meiste jedoch nicht. Ein eklatantes Beispiel hierfür ist die Akademie: Sie ist quasi im Zentrum der Karte platziert und generell der Ort, der alle Storys und das Endgame miteinander verknüpft. Außerdem bietet sie mit ihren Kursen viele wertvolle Tipps und Hinweise für das Spiel. Allerdings regt das Spiel mit seinem gewohnten Gotta-catch-‘em all-Prinzip nicht sonderlich dazu an, in der Akademie zu verweilen, sondern leitet einen an, direkt ins Abenteuer aufzubrechen. Das ist schade, denn wer die Schulbank in »Pokémon Karmesin & Purpur« drückt, wird sich später nicht so einige komische Fragen stellen wie wir. Aber nun ja, dies ist am Ende wie eigentlich alles in »Pokémon Karmesin & Purpur« vollkommen in der Hand der Spielenden und seien wir ehrlich: Wer von uns ist schon freiwillig zur Schule gegangen?

 

Das Fazit

grüner DaumenZusammengefasst hätten wir uns am Ende eigentlich am meisten gewünscht, dass sich Game Freak ein wenig mehr Zeit genommen hätte, um Features zu polieren, Ideen reifen zu lassen, technische Probleme auszumerzen und notwendige spielerische Leitplanken zu setzen. Denn auch wenn »Pokémon Karmesin & Purpur« uns so wie es ist bereits Freude bereitet, ist es schade, dass mit dem Open-World-Debüt eine Menge Potenzial verschenkt wurde.

 

Plus Minus
  • flüssiges Gameplay, sogar im Handheld-Modus
  • Open World & Open Story
  • gelungene Kombi aus klassischen Pokémon-Elementen & von Fans herbeigesehnten Neuerungen
  • neuer Pokédex voller Eye Candy
  • Performance-Unterschiede zwischen den Editionen
  • vergleichsweise leere Open World
  • fragwürdige Mechanik der Tera-Typen

Rezensionsexemplar - Nintendo

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