Angezockt – »The DioField Chronicle« – Ungeschliffener SRPG-Diamant

Wenn Anime-Fans nicht Anime schauen oder Manga lesen, tun sie was? Richtig, vermutlich zocken und darum geht es hier: Wir schnappen uns ein aktuelles Game und schreiben unsere Gedanken dazu nieder, um am Ende die Frage beantworten zu können, ob sich ein Kauf denn jetzt lohnt.

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Titel: The DioField Chronicle
Genre: Strategie-Rollenspiel
Publisher: Square Enix
Entwickler: Square Enix, Lancarse
Release: 22. September 2022
USK: Ab 12 Jahren
UVP: 59,99 Euro

Normalerweise sollte an dieser Stelle ein Satz stehen, der Interesse für dieses Reviews weckt. Der zum Weiterlesen animiert, aber unverfänglich bleibt. Die Qualität des getesteten Werks offenlässt, aber schon gewisse Hinweise gibt. Doch heute zäume ich das Pferd von hinten auf und verrate schon jetzt: »The DioField Chronicle« ist ein ganz schön durchwachsenes Erlebnis, bei dem auf jeden positiven Aspekt ein oder gar mehrere negative Punkte folgen.

Und trotzdem fühlt sich DioField wie etwas Besonderes an.

Es ist ein ungeschliffener Diamant, dessen Faszination sich vielleicht nicht jedem erschließt, aber in den Augen anderer umso stärker glänzt. Aber – und hier ist das Interesse nun hoffentlich geweckt – warum ist das so?

 

Strategie-Rollenspiel mit Echtzeit-Einschlag

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»The DioField Chronicle« ist ein Strategie-Rollenspiel japanischer Machart. Wer sich dabei direkt ein Schachbrett-artiges Schlachtfeld ausmalt, auf dem wir aus der isometrischen Perspektive Runde für Runde, Feld für Feld unsere Charaktere ziehen, irrt jedoch. Auch wenn Square Enix auf der Verpackung steht, folgt »The DioField Chronicle« nicht den Fußstapfen von »Final Fantasy Tactics« oder dem zuletzt erschienenen »Triangle Strategy«. Stattdessen setzt es auf ein Echtzeit-mit-Pause-System, das an Rollenspiel-Klassiker wie »Baldur’s Gate« oder etwas obskurer »Growlanser« erinnert. In Echtzeit werden so Einheiten mit einem Cursor über das Spielfeld manövriert, während das Spielgeschehen kurzzeitig pausiert wird, wenn wir neue Befehle erteilen oder Skills auswählen. Das ist an und für sich nicht besonders innovativ, aber doch ein frischer Wind im SRPG-Allerlei und ausgesprochen solide umgesetzt. Dieses solide Fundament und das flotte Spieltempo, bei dem einzelne Stages selten länger als wenige Minuten dauern, ist es auch, das dafür sorgt, dass DioFields Schlachten stets unterhaltsam bleiben – denn in den Details hakt es leider.

20220929193759 1Das Missionsdesign ist wenig abwechslungsreich und beschränkt sich fast ausschließlich darauf, alle in Wellen auftretenden gegnerischen Soldaten besiegen zu müssen. Das Balancing ist zudem oftmals fragwürdig. Erfahrungspunkte werden nur spärlich verteilt, sodass das eigene Team, selbst wenn man jede einzelne Nebenmission erledigt, plötzlich mehrere Stufen unter dem empfohlenen Level für neue Missionen liegt. Das Spiel ist leicht genug, dass dies in einem geradlinigen Spieldurchlauf nicht sonderlich zu Buche schlägt. Wer jedoch mit den verschiedenen Charakteren experimentieren und unterschiedliche Party-Konstellationen ausprobieren möchte, kommt um sinnloses Grinding vorheriger Missionen nicht herum. Auch die verschiedenen Subsysteme greifen oft nicht befriedigend ineinander: So können wir in einem Skilltree neue Fähigkeiten freischalten und verbessern. Doch diese Fähigkeiten können Charakteren nicht frei zugeordnet werden, sondern sind stattdessen an Waffen gebunden. So kann es sein, dass man einen Skill freischaltet, den man mangels richtigem Waffentyp nicht nutzen kann. Oder einen Skill auflevelt, den man mit einer neuen Waffe direkt wieder verliert. Neue Waffen müssen zudem ebenfalls in einem Forschungsbaum freigeschaltet werden, bevor man sie anschließend für viel Geld im Shop kaufen kann. Die Ressourcen, die für die verschiedenen Bäume gebraucht werden, sind über den größten Teil des Spiels extrem rar gesät, sodass wir oft Skills freischalten, die wir nicht nutzen können, weil wir nicht genug Rohstoffe haben, um für alle Charaktere die dazugehörigen Waffen zu erforschen – geschweige denn genug Geld um jede Einheit auszurüsten.

 

Chroniken eines Krieges

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Ein »Chronicle« am Ende eines Spieletitels wirkt oft wie eine leere Worthülse, der keine andere Bedeutung zukommt, als im Händlerregal zu signalisieren: »Hey, ich bin ein Rollenspiel!« In »DioField Chronicle« ist das unscheinbare Wörtchen allerdings tatsächlich wörtlich zu verstehen: Denn die Geschichte, die hier gesponnen wird, ist nichts anderes als die nüchterne Chronik eines Krieges und einer der Parteien, die diesen Konflikt maßgeblich beeinflussten.

Bei dieser Partei handelt es sich um die Söldnergruppe Blue Foxes, die von Herzog Hendel als Privatarmee aufgezogen wurde. Als Adliger eher niedrigen Ranges gelang er durch geschickte Geschäfte an Reichtum – und somit zunehmend an Einfluss, die er in der instabilen politischen Umgebung DioFields festigen möchte. Denn die reichen Ressourcen des Landes ziehen nicht nur die Aufmerksamkeit des kriegslüsternen Schoevian Empires auf sich, auch im Inneren buhlen verschiedene Fraktionen um die bröckelnde Macht. Der alternde König ist längst kaum mehr als eine Marionette der wohlhabenden und einflussreichen Herrscher, die unter adliger Verkleidung die verschiedenen Ländereien DioFields verwalten, während jeder von ihnen um die Vorherrschaft im Land ringt. Thronfolger werden ermordet, weitere von den verschiedenen Fraktionen als Nachfolger auserkoren und verteidigt. Im Hintergrund werden im Volk Aktivisten aktiv, die sich einer neuartigen Ideologie namens “Demokratie” verschreiben und diese mit Blut und Gewalt durchzusetzen versuchen. Und natürlich gibt es auch eine Kirche, die sich nicht bloß mit der geistlichen Macht zufriedengibt.

20221001233212 1Der Gedanke liegt also nahe, dass wir in »The DioField Chronicle« den Herausforderungen derjenigen folgen, die die Demokratie ins Land bringen wollen. Den konventionellen Guten eben. Stattdessen mimen wir diejenigen, die diese Aufstände wortwörtlich niedermetzeln. Dass SRPGs wie »Final Fantasy Tactics« oder »Tactics Ogre« mit politischen Tönen und Graustufen aufwarten, die man im japanischen Rollenspiel-Genre sonst selten sieht, ist nicht ungewöhnlich. Die Schonungslosigkeit, mit der »The DioField Chronicle« unromantisiert eine Kriegsgeschichte schreibt, die in sehr ähnlicher Form im europäischen 17. Jahrhundert hätte stattfinden können, ist wiederum selbst in diesem Genre ungewöhnlich.

Die Blue Foxes schützen einerseits die Bevölkerung vor wandernden Monstern oder rücken in die Schlacht, um das feindliche Königreich zurückzuschlagen. Doch andererseits helfen sie einem Herzog, der das Volk mit drakonischen Abgaben und Steuern bestraft, um seinen Machthorizont zu erweitern, und schlagen Aktivisten nieder, die sich dessen erwehren möchten. Gut folgt auf Böse, Böse folgt auf Gut, manche guten Dinge folgen aus schlechten Intentionen, manche schlechten Dinge aus guten Absichten. Die Blue Foxes bestehen aus einem Schmelztiegel verschiedener Gesinnungen: Royalisten, die der festen Überzeugung folgen, dass ein König das Beste fürs Volk ist. Eher bürgerlichem Adel, die mit der Demokratie sympathisieren. Vertretern reicher Häuser, denen nur das eigene Wohl am Herzen liegt. Opportunisten, die dem Wellengang folgen, um zum richtigen Zeitpunkt ihre eigenen Ideale umzusetzen.

20221002224145 1»The DioField Chronicle« ist hierbei keine Geschichte über die Macht der Freundschaft, die Wogen glättet und Differenzen überbrückt. Vielmehr ist es die Geschichte von Allianzen, die sich in schwierigen Zeiten bilden, aber anschließend auch wieder zerfallen. Und bei der wir als Spieler bis zuletzt rätseln, welcher Motivation unsere vermeintlichen Protagonisten eigentlich folgen. Es ist nicht die Geschichte strahlender Helden oder gar nur Sympathieträgern, vielmehr ähnelt »The DioField Chronicle« einem Geschichtsbuch über Napoleon. Historischen Figuren hoher Bedeutung, die jedoch nicht das Material für romantische Überhöhungen sind. Auch die Präsentation von »The DioField Chronicle« ist ähnlich spartanisch gehalten wie die eines Dokumentationsfilms: Ausgiebige Cutscenes spart man sich, stattdessen wird ein großer Teil der Geschichte von einem Erzähler eingesprochen, während auf einer Weltkarte Truppenbewegungen und ähnliche Ereignisse eingezeichnet werden. Es ist keine Geschichte, die mit Melodramatik oder tragischen Charakterschicksalen ans Pad fesseln will, sondern stattdessen mit seiner nüchternen Sachlichkeit auffällt. Viele mögen das langweilig finden. Sie mögen sich wundern, warum sie der Tod eines Prinzen, den sie überhaupt nicht kannten, interessieren soll. Andere wiederum – etwa diejenigen, die Spannung in einem guten Geschichtsbuch finden – werden umso mehr fasziniert sein und entgegnen: »Warum der Prinz wichtig ist? Weil sein Tod das machtpolitische Gefüge komplett auf den Kopf stellt, ist doch logisch!« So stricken die Entwickler eine dichte Narrative über Komplotte, Intrigen, Täuschungen, Machterhalt, Zerfall, Krieg, Tumulte und allen anderen Zutaten, die das Genre der historisch angehauchten Fiktion auszeichnet. Es wundert daher auch nicht, dass Square Enix für die musikalische Untermalung Brandon Campell und Ramin Djawadi angeheuert hat – unseren Ohren besser bekannt für den Soundtrack von »Game of Thrones«.

The DioField Chronicle – Mein Fazit

gelber Daumen

»The DioField Chronicle« wurde augenscheinlich mit einem geringen Budget entworfen. Das erlaubt einerseits die Entstehung eines Spiels, das sich mit spannenden, aber durchaus eigenwilligen Ideen vom Genre-Allerlei abhebt. Sorgt aber auch dafür, dass vielen Gameplay-Ideen die notwendige Feinpolitur fehlt, um wirklich überzeugend zu sein. Das Fundament bleibt jedoch – nicht zuletzt wegen des schnellen Spieltempos und des ungewöhnlichen Echtzeit-Kampfsystems – über die Spiellänge von knapp 25 bis 30 Stunden trotz allem stets spaßig und unterhaltsam. Der wahre Reiz entfaltet sich jedoch in der Geschichte, deren Faszination sich durch die nüchterne Präsentation und dem Fehlen von großen Sympathieträgern zwar nicht jedem eröffnen wird, in ihrer kompromisslosen Darstellung eines spätmittelalterlichen Konflikts jedoch Töne anschlägt, die man im Genre selten sieht, und dabei mit einem Überangebot an Intrigen, Komplotten und Machtspielen immer wieder zu überraschen weiß.

 

Plus Minus
  • ungewöhnliches Kampfsystem
  • angenehm zügiges Spieltempo: flotte Missionen, knackige Zwischensequenzen, kurze Sätze
  • schicke Optik im Diorama-Stil
  • eingängiger Soundtrack
  • Geschichte mit viel Grau und Schwarz ohne strahlende Helden
    • fragwürdiges Balancing und Spielmechaniken, die nicht gut ineinandergreifen
    • eintöniges Missionsdesign

Rezensionsexemplar - Square Enix

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